Volltext: Einführung in die antike Kunst ([Textband])

ia, um nur Schönes darzustellen, habe er das reifere Alter 
vermieden und sich nicht über glatte Wangen, also das jugend- 
liche Alter, hinausgewagt. Die Hoheit der Götter wiederzu- 
geben soll ihm aber nicht in gleicher Weise gelungen sein, 
dazu habe es ihm an Erhabenheit gefehlt. Hiervon mufs 
wohl seine Hera eine Ausnahme gemacht haben, die das 
Altertum den Göttergestalten des Pheidias gleichstellt. Meist 
hat er schöne Menschen gebildet, und auf diesem Gebiete 
hat er so tiefe Studien gemacht, dafs er mit einer reinen 
Phantasiegestalt, der Amazone, alle Bewerber übertraf, da er, 
ohne die Weiblichkeit des Körpers zu verdunkeln, ihm doch 
alles Schwächliche und Weichrliche zu nehmen wufste. Das 
Resultat seiner Untersuchungen über menschlichen Körperbau 
legte er in einer Schrift nieder, auch 8011er eine Normalflgur 
geschaffen haben, welche die Künstler geradezu Kanon d. h. 
Musterbild, nannten. Diese scheint sogar in einer Nachbil- 
clung auf uns gekommen zu sein; als solche gilt wenigstens 
jetzt fast allgemein der in Neapel befindliche Doryphoros 
(Taf. 16, Fig. 10). Wir erblicken hier einen wohlgewachsenen, 
kräftigen jungen Mann, der auf der linken Schulter eine Lanze 
trägt. Das rechte Bein ist das Standbein; das zurückstehende 
_1inke ist leicht gehoben wie zum Fortschreiten- Entsprechend 
der Behandlung der Beine ist auch bei den übrigen Körper- 
teilen auf Abwechslung geachtet; denn es kam eben dem 
Künstler darauf an, die Glieder in einer für Lehrzwecke be- 
sonders geeigneten Lage erscheinen zu lassen. So hängt die 
rechte Seite des Körpers etwas und ist zusammengedrückt, 
während die linke emporgehoben ist; der rechte Arm hängt 
frei herunter, der linke Vorderarm dagegen ist gehoben, um 
die Lanze zu halten. Der Kopf ist nach rechts gewandt und 
ein klein wenig geneigt. Ein persönliches Interesse erweckt 
weder der Körper noch das gleichgiltige Gesicht, das von 
anliegenden Haaren umrahmt ist. Das in Erz gebildete Ori- 
ginal hat jedenfalls einen etwas schlankeren Eindruck gemacht 
als die vorliegende Marmorkopie.  Steht Polykleitos in Be- 
zug auf das Gebiet, dem er seine Kunstwerke meist entnimmt, 
hinter Pheidias zurück, so ist er doch Wie dieser Idealist, in- 
dem er nicht die Körper genau so darstellte, wie sie die durch 
vielerlei Einflüsse in ihrem Wirken behinderte Natur hervor- 
bringt, Sondern die Idee des durch nichts in seiner Ent- 
wickelung gehemmten Körpers aufs schärfste und reinste 
wiederzugeben suchte. Übrigens war er nicht nur als Plastiker, 
sondern auch als Architekt thätig, wie mehrere jüngst in Epi- 
dauros ausgegrabene Bauten, ein Theater und ein Heiligtum 
des Asklepios 56), beweisen.
	        
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