Volltext: Einführung in die antike Kunst ([Textband])

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ist so, dafs das Gewicht des Körpers fast ganz vom rechten 
Beine getragen wird, während das linke kaum den Boden be- 
rührt; der Oberkörper neigt sich nach links, wo er an dem 
aufgelehnten (ebenfalls ergänzten) Arme einen zweiten Stütz- 
punkt findet. Das Gewand, ein leichter, kurzgeschürzter, von 
einem Gürtel zusammengehaltener Chiton, ist vermutlich zu- 
folge hastiger Bewegung von der linken Schulter herabgefallen; 
Waffen, die sie sonst trägt, Schild, Speer und Bogen oder 
Streitaxt, hat sie nicht. Die Haltung des rechten Armes 
kommt uns sonderbar vor. Sie scheint im Altertum gewöhnlich 
zu sein und bedeutet Ausruhen. Diese somit ungesuchte 
Haltung ermöglicht zugleich, dafs die im Fleische absichtlich 
nur wenig angedeutete Wunde sichtbar wird. Der Ausdruck 
des schönen, von lockigem Haar umrahmten Gesichtes sowie 
die Neigung des Kopfes offenbaren Niedergeschlagenheit. Wir 
haben also wohl eine im Kampfe besiegte und Verwundete, 
nach eiliger Flucht ausruhende Amazone vor uns. Und in 
der That weifs uns der Mythos zu erzählen, wie die Amazonen 
einst eine schwere Niederlage erlitten haben. Sie hatten in 
früherer Zeit in Kleinasien der Artemis, die sie besonders 
hoch verehrten, viele Heiligtümer gegründet, darunter auch den 
berühmten Tempel zu Ephesos. Als ihren Feind betrachteten 
sie den jugendlichen Gott Dionysos, dessen Kult in Kleilnasien 
sich mächtig verbreitete. Es kam zum Kampf mit diesem; 
die Amazonen wurden von dem streitbaren Helden geschlagen 
und flohen nach Ephesos, wo Artemis sie schützend in ihrem 
Heiligtume aufnahm. In der zweiten Hälfte des fünften Jahr- 
hunderts nun gaben die Ephesier den Auftrag, Amazonen- 
bilder für ihren Artemistempel zu arbeiten, und es beteiligten 
sich an dem Wettstreite die besten Künstler, so auch Pheidias, 
Polykleitos und Kresilas. Polykleitos soll den Sieg davon ge- 
tragen haben. In der Taf. 16, Fig. 9 dargestellten Amazone 
glaubt man eine Nachbildung der seinigen zu besitzen. Dafs unser 
Bild auf eine Erzstatue zurückgeht, lassen besonders die scharf 
vortretenden Augenlider schliefsen. 
Polykleitos. Es wird von Polykleitos ausdrücklich 
überliefert, dafs er seine Statuen, im Gegensatz zum Diskobolos 
des Myron z. B., im Zustande der Ruhe daIStellte, aber, um 
ihnen gröfseres Leben zu verleihen, es ersonnen habe, dafs sie 
nur auf einem Beine ruhten. Ist das auch nicht erst von ihm 
erfunden, so ist die Bemerkung doch wohl insofern richtig, 
als er diese Stellung, die durchaus der Natur abgßlaugcht ist, 
als eine für längere Zeit mustergiltige Regel einführte. Aufser- 
dem sagt das Altertum über Polykleitos, dafs er der mensch- 
lichen Gestalt über die Natur hinaU-S Würde verliehen habe;
	        
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