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Die
griechische
Kunst.
zuversicht blickt der Gott seine Gegnerin an. Da läfst Athene
aus ödem Gestein den Ölbaum spriesen, das Wahrzeichen der
nährenden Fruchtbarkeit des gebirgigen Landes. Das Meer
ist aber überall, der Olbaum ist ein durch Athenes Huld dem
attischen Lande verliehenes Geschenk: der Göttin gehört da-
her der Besitz der zukunftreichen Stätte. Erschreckt weicht
Poseidon zurück nach rechts, siegesbewufst Athene nach links,
in der Mitte ist der schlank emporgeschossene Olbaum. Diesen
Moment, wo der Streit eben entschieden ist, hat der Künstler
als den fruchtbarsten erwählt. Die Götter des Gefolges geben
je nach ihrer Entfernung vom Mittelpunkte gröfsere oder ge-
ringere Teilnahme und Erregung zu erkennen.
Von all den Figuren ist nur Weniges gut erhalten; am
besten die äufserste in der linken Ecke, die uns 'l'af. 15, Fig. 4
zeigt. Auf felsigem Untergrund, den nur wenig der Mantel
bedeckt, hatte sich der Mann dahingestreckt. Da dringt der Streit
der Götter an sein Ohr. Langsam erhebt er sich aus seiner fast
wagerechteil Lage, indem er sich auf den linken Arm stützt
und den Oberkörper nach vorn beugt, um nach der Mitte hin
zu schauen. Nachlässig hängt des Mantels einer Teil ihm über
die linke Schulter, nach dem anderen, dessen Zipfel am rech-
ten Kniee noch sichtbar ist, griff er vermutlich mit der nicht
erhaltenen rechten Hand. Wir haben wohl einen Flufsgott
vor uns, vermutlich den Kephissos, Attikas bedeutendsten F lufs,
dem in der anderen Ecke der Ilissos und die vielbestmgene
Quelle Kallirrhoe entsprachen. Durch diese Lokalgötter hatte
der Künstler den Ort bezeichnet, wo der Vorgang spielte. Im
Gegensatz zur Ruhe beim Dionysos im östlichen Giebel sehen
wir hier eine flüssige Bewegung dargestellt, die also noch nicht
ganz zum Abschlufs gekommen ist; das beweist der noch ge-
bogene linke Arm, der im Zustande der darauf folgenden Ruhe
steif sein würde. Die halb nach vorn geneigte Haltung des
Körpers ermöglicht eine verschiedenartige Behandlung der
beiden Seiten der Brust. Ein schönes Zeichen für die echt
künstlerische Hingebung des Meisters ist es, dafs die Giebel-
statuen, wiewohl sie blofs von vorn erschaut werden konnten,
doch auch an der Rückseite mit treuestem Fleifs aus-
geführt sind.
' Fries. Metopen und Giebelgrtiplaen waren der plastische
Schmuck, der aufsen am Tempel sich fand. Trat man aber
zwischen den Säulen hindurch in die Halle, so erblickte man
oben an der Aufsenseite der die Tempelräume umschliefsen-
den Wand eine neue Zierde, eine der umfangreichsten und
grofsartigsten Kompositionen aller Zeiten, den kostbaren Fries
nämlich, der in einer Länge von fast 160 m und in einer Höhe