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Ein sehr verwandter Gegensatz bildete sich in unserer
christlichen Culturperiode. Was ist die in dem gothischen
Dome zu ihrem letzten Ausdrucke Iixirte abendländische
Basilika anderes, als ein ägyptischer Priestertempel? Die
Ecclesia hat den Tempel verschlungen, die Kirche ist des
Gottes Herr geworden; fehlen doch selbst die hohen ägyp-
tischen Pylonen nicht!
Was ist die morgenländische Kuppel anderes, als
ein christlicher Baalstempel
Unser Heiland ist der Repräsentant des Despoten
geworden, der sein Reich auf Erden vertritt, und alleini-
ger Herr ist über Geistliches und Weltliches!
i) Es wird wahrlich kein Anthemius von Tralles, kein Isidor von
Milet erfinderisch genug sein, eine neue Grundform der Architektur zu
schaffen, wenn nicht vorher eine neue wclthistürisElreldeeasicnliäahn brach,
von welcher jene der Ausdruck tTJETWEISÜÜt-liehe Idee schwehlvclnöhiil-y
stantin dem Grofsen vor dem Sinne, als er mit dem äufseren Christenthum
für seine neu gegründete Hauptstadt nicht auch zugleich die weströmischo
christliche Basilika adoptirte, sondern seinem Christengottc vor dem
Tablinum seines römischen Hauses den Altar errichtete, dessen hohes
Atrium testudinatum das Vorbild aller griechisch-katholischen "Dome"
wurde. Es ist leicht zu erweisen, dass in ihrer ältesten und einfach-
sten Form, in welcher alle späteren Kuppeltempel wie im Keime ent-
halten sind, alle Haupttheile vorkommen , die das römische Haus consti-
tuiren. Die ß-ula, die prothyra, das vestibulum, das atrium, die alae, das
tablinum und selbst die fauces, die zu dem peristylen Hinterhof und den
inneren Theilen des kaiserlichen Palastes führen. So war der kaiserliche
Gedanke, der ihn zur Annahme der neuen Lehre bewog, architektonisch
verkörpert, und Christus war in seine neue Wohnung, als Hausgott der
irdischen Gewalt, eingezogen.
Wie grofses Unrecht thut man uns Architekten mit dem Vorwurfe
der Armuth an Erfindung, während sich nirgend eine neue Weltgeschicht-
liche, mit Nachdmck und Kraft verfolgte Idee kund giebt. Vorher sorgt
für einen neuen Gedanken, dann wollen wir schon den architektonischen
Ausdruck dafür finden. Bis dahin begniige man sich mit dem alten.