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Das Erhabcnc.
wenn wir eine Harmonie darin erkennen. Ein Kanonenschlag, eine
Pulverexplosion mit einem Knall können darum, weil sie in sich kein
Maass tragen, nie erhaben sein, aber der Knall des Geschützes, der
wiederhallt, der Donner, der an den Bergwänden oder in den Wolken
rollt, wird erhaben, weil er sein Maass in dem Anrollen und Abnehmen
mit sich führt, das unserer menschlichen Stimmanstrengung spottet.
Aber welches Maass haben wir anzulegen?
Wir messen die Sonnenweite, fangen an Sternenweiten zu bestim-
men, wir berechnen die Stärke des Schalls giebt es denn dabei ein
Erhabenes? Hat man nicht, wie Kant gelehrt hat, alles mathematisch
Erhabene zu verwerfen, weil man ja nur einen grösseren Maassstab zu
wählen braucht, um das Erhabene herabzudrücken? Sehe ich einen
hohen Baum, so brauche ich nur einen Berg anzuschauen; sehe ich
einen Berg von bedeutender Höhe, so brauche ich nur an den Erd-
dnrchmesser zu denken, bei diesem an das Planetensystem, für dieses
an die Milchstrasse und so fort. Dagegen ist zu bemerken, dass jedes
Ding mit seinem eignen Maass gemessen sein will, dieses Maass aber
durch die menschliche Kraft des Beurtheilers bestimmt wird. Was unter
iden so entstandenen, zusammengesetzten, man könnte sagen, mensch-
lich höchsten Maassstab fällt, kann nie erhaben gefunden werden, möge
es an sich so bedeutend sein wie es wolle. Es versteht sich, dass dabei
das Dynamisch-Erhabene, eine Kraft, einen grossen Vorzug hat, weil
ich dieselbe nicht bemessen kann, wie eine Ausdehnung. Wenn wir
einen Menschen nehmen, so kann dessen Körperlänge niemals erhaben
scheinen, sondern nur gross, weil wir sie jeden Augenblick bemessen,
wohl aber mag die ihm zugetraute oder wirklich eigenthümliche Kraft
einen solchen Eindruck des Erhabenen machen, weil sie für unseren
Massstab unberechenbar erscheinen kann; auch diese Kraft wird dann
wieder gerne auf das schwieriger oder gar nicht genau zu bemessende
geistige Gebiet beschränkt. Aber der rohere, nur körperliche Mensch
wird auch bei einer unverhältnissmässigen Anzahl von Pfunden, die
Jemand hebt, oder bei der für ihn undenkbaren Dauer der Anstrengung,
die der Athlet, die der Boxer aushalt, die Empfindung des Erhabenen
bekommen.
Es kommt beim Messen des Erhabenen nicht darauf an, ob wir
etwas in eine mathematische Formel fassen können, sondern ob wir
einen klaren Begriff noch mit dem Maasse verbinden. Eine Meile ist
eine Zahl, die nichts besagen will für das Erhabene, wenn ich dagegen
eine Sonnenweite nehme. Aber ein Bergh der eine Meile hoch ist, wird
erhaben, sobald mir diese Meile Höhe ein Gefühl meines eignen kleinen
Maasses von Höhe und Stärke bringt. Steigt er flach an, so kann er
mir einen solchen Eindruck nicht machen. Ich finde weder Ver-
gleichungspunkte, noch sehe ich eine besondere Schwierigkeit, ihn zu
ersteigen, indem mir ja keine Hindernisse in den Weg treten. Aber er