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Die
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Empfindungen.
dem Schöx
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Erhabenen.
Hoheit und Strenge. Und hierin, in dem kleineren Maasse, was das
Reizende hat, gegenüber den hohen Anforderungen des Rein-Schönen,
liegt die grosse Anziehungskraft, welche es ausübt. Es gefällt häufiger,
schneller als das Schöne, namentlich der Masse. Ja, Viele verstehen
nur seine Leichtigkeit, sein Spiel' zu würdigen. Um das Schöne zu
erfassen, dazu muss sich in der Brust des Beschauers eine volle, reine
Harmonie finden, mit welcher Jenes versehmelzend dann die höchste
Empfindung des Wohlgefallens giebt. Wer sie nicht besitzt, kann auch
das Schöne nur ahnen, nicht ganz würdigen, nicht völlig begreifen.
Leicht wird es ihm streng. ja steif in seiner vollkommenen Gesetz-
mässigkeit erscheinen, von der Nichts hinwegzutlnm, zu welcher Nichts
hinzuzufügen ist, die jede Laune ausschliesst. Der gewöhnliche Sinn,
dessen innere Harmonie lückenhaft ist, wird sich darum zu dem gleich-
falls Lückenhaften oder ihm Entsprechenden durch die Willkürlichkeit
hingezogen fühlen. Die Seele in ihrer gewöhnlichen lümpüntlung, in
Stimmungen, wo sie sich nicht abringen mag, um das höchste eigene
'Maass_zu gewinnen und anzulegen, fühlt also Neigung zum lteizentlcn,
während sie sich wohl vom streng Schönen abwendet, ja "mit ihm sich
zu messen scheut und Widerwillen empfindet. Das Reizende ist zu
allen Stunden gefällig, lässt sich leicht erfassen. Es ist die amnuthige
Nymphe, die sich zu uns nicderneigt, während die reine öchönheit
als die hehre Göttin erscheint, zu der wir emporschauen, bis unsere
Herzen in Reinheit ihrer würdiggeworden und ihr Blick dem unseren
in weihevoller Liebe antwortet. Dagegen zieht uns das Reizende nur
an sich auf einer gleichen Stufe, nicht hinauf. Dem gewöhnlichen
Sinn schmeiohelnd steht es da, zum Spiel, zum Tandem, zu schneller
Anerkennung und zu ebenso schnellem Verlassen, um sodann das Spiel
von Neuem zu beginnen. Ein bedeutender Reiz liegt dabei in dem
Willkürlichen, in der grösseren Freiheit, die es dem strengen Schönen
gegenüber besitzt: dadurch wird es für viele Stunden ein wahres Be-
dürthiss, für die Stunden der Erholung, wo der Geist ausruhen will,
wo er sich abspannt von schwerer, streng bannender Arbeit. Stren-
gerer, zwingender und gezwungener, logischer Sinn zeichnet den Mann
aus, während das Weib in Allem mehr eine schöne Willkürlichkeit
zeigt. Er hat mehr Gesetz, sie mehr Willkür. Er verlangt daher als
Ergänzung das Reizende der Frau; sie sucht in ihm die strengere
Festigkeit. Auch im Bau beider Geschlechter drückt sich dieser Unter-
schied aus: der Mann hat eine herbere, grossartigere, die Frau eine
weichere, reizendere Schönheit.
Auch wenn wir das Maass des Mannes als Norm anlegen, finden
wir, dass die, in körperlicher wie doch auch vielfach in geistiger Hin-
sicht schwächere Frau unter dieses Maass, also ins Reizende, fällt.
Nehmen wir das Maass der B'rau als Norm, so steigt der Mann darüber
hinaus. Es rückt die männliche sinnliche, und geistige Schön-