Gemeine
Das
Reizende.
das
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seine Derbheit und rohe Natürlichkeit als Folie gebraucht wird und
als Gegengewicht gegen Ueberfeinerung und Verkehrtheit, um dadurch
den richtigen Standpunkt für die Beurtheilung des letzteren zu ge-
winnen. Man denke nur an Sancho Pansa, den getreuen Schildknappen
des edlen Ritters aus der Mancha. '
Vom Lachbaren zum Schönen hinüber haben wir das Reizende
gesetzt. Zwischen diesem und dem Lachbaren haben wir die Empfin-
dungen, die durch ein kleinliches Maass in den Gegenständen erweckt
werden, das Niedliche in seinen verschiedenen Arten, dann auch das
nur schlechthin Gefällige, was wohl "hübsch" erscheint, aber nicht auf
die Bezeichnung des Reizenden, geschweige auf Schönheit Anspruch
machen kann. Während wir über dem Gefälligen stehen, unser Maass
entschieden grösser ist, als dasjenige des Niedlichen und Hübschen,
fühlen wir mit dem Reizenden eine grössere Gleichartigkeit. Alles
darunter Stehende können wir belächeln, für das Reizende wird uns
das Lächeln allein bleiben. Es ist ein Schönes in geringerer, mehr
ungebundener, spielender Gesetzmässigkeit. Anstrengung, zu seiner
Beurtheilungdas Maass in uns zu finden, erfordert es noch nicht. Es
muthet uns an, reizt uns sich ihm zuziuveiideii, kann uns aber noch
nicht mit der tiefen, starken Liebe, dem völligen Aufgehen, wonach
das wahre Schöne uns verlangen lässt, erfüllen.
Als besonders anmuthig oder reizend wird uns das Schöne er-
scheinen, wenn es sich seiner strengen Vollkommenheit im heitern
Spiele begiebt und diese oder jene Gesetzmässigkeit überhüpfend sich
freier, ungebundener, innerhalb weiterer aber immer noch sicherer
Gränzen bewegt. llier ist dann das Schöne die Trägerin des Reizen-
den, Anmuthigen; unsere Empfindungen bleiben also gehobener, wenn
wir auch in dem Spiele des Reizenden ihnen eine grössere Anspannung
erlassen. Man hat deswegen auch das Anmuthige nur der beweglichen
Schönheit zugestehen wollen (Schiller: Ueber Anmuth und Würde), auf
welche Erörterung wir hier jedoch nicht eingehen können, weil allein
die festen Bestimmungen des Reizenden, Anmuthigen, dann der Grazie,
die bei der Bewegung ins Spiel kommt, zu viel Raum wegnehmen
würden. Aber auch in dieser Beschränkung gefasst, sehen wir, dass
unsere Bestimmung eines geminderten Maasses im Reizenden bleibt.
Betrachten wir den Gürtel der Anmuth, den die Kypris der Here leiht,
um das Herz des Zeus verführerisch zu bewegen:
Spraclfs und löste vom Busen den wunderköstlichen Gürtel,
Buntgestickt: dort waren die Zauberreize versammelt;
Dort war schmachtende Lieb und Sehnsucht, dort: das Getändel,
Dort die schmeichelrade Bitte, die oft auch den Weisen bcthöygg
In allen: Genannten ist ein Unterordnell, ein Hinanstreben zu
dem Umworbenen, eine Herablassung des wahren Schönen von seiner