Hässliche.
Das
65
(iebieten nichts Hassliches existirt so ist der Ekel gehoben, das
Hässliche aber auch in andere Gesichtspunkte gerückt. Natürlicher
Weise lässt sich auch ein Irrthum in der Beurtheilung des Hasslichen
denken und heben. Es mag uns ein Gesicht hässlich erscheinen; bei
längerer Betrachtung können wir aber finden, dass wir nur einige Dis-
harmonien auf den ersten Blick gewahrten, die tiefer liegenden Har-
monien aber, die darin sich ausdrücken, nicht entdeckten. Finden wir
diese nun, so kann sich der Eindruck des Wohlgefalligeu über den
des Missfallens erheben und ihn schliesslich ganz vernichten.
Wir übergehen hier alle die einzelnen Hässlichkeiten, die 410011
nicht vollständig zu geben wären (Reinheit Schmutz, Klarheit
Verworrenheit, Leichtigkeit der Bewegung Plumpheit, Keuschheit
der Erscheinung Obscönität u. s. w. u. s. w.) und Jeder leicht aus
dem Gegebenen zu beurtheilen vermag. Es gilt auf einen anderen
Punkt aufmerksam zu machen.
Wir wissen, dass der Mensch jede übertriebene Einheit oder Ein-
seitigkeit flieht. Nehmen wir nun das Schöne ethisch die Tugend
und setzen wir, dass wir nur Schönes und wieder nur Schönes zu
sehen bekämen, so ergiebt sich durch richtige Folgerung, dass wir
bald einen unbefriedigenden Eindruck empfanden. Die Forderung des
Wechsels würde nicht erfüllt; wir würden Langeweile, wenn nichts
Schlimmeres verspüren. In dem Falle könnte also selbst das Hässliche
als Mannigfaltigkeit oder Wechsel eine Art wohlgefalligen Eindruck
machen, freilich nicht an und für sich, sondern nur in Verbindung mit
dem Schönen. Atisserdem lasst sich denken, ein Hässliches, das aber
nicht absolut hässlich sein darf, könnte unter solchen Umständen da.-
durch wirksam werden, dass es das Maass für unsere Beurtheilung.
herabstimmt. Wir sind geneigt, seine Ungesetzmässigkeit mehr oder
weniger zum Ausgangspunkte zu nehmen, erhöhen aber dadurch um
ebensoviel das Schöne, als wir uns zum Hasslichen herablassen. S0
wird das Hässliche zur Folie. Nur schöne Gesichter in einer Gesell-
schaft drücken einander, sobald wir den Eindruck des Durchschnitts
verloren und uns einen neuen Maassstab gebildet haben. Aber unschöne
und hässliche daneben, und jene strahlen schöner eine ästhetische
Wahrheit, die immer von den ausübenden Aesthetikern und Aesthe-
tikerinnen erkannt und angewendet worden. Man sehe nur, was für
eine Freundin eine eitle Schöne sucht, die nichts als die Schönheit
ihrer eignen Person im Auge hat.
Es giebt aber auch Auflösungen des Hässlichen. Dieses kann in
seinen Widersprüchen sich, ohne Schaden zu bringen, in ein Nichts
auflösen, oder es können diese Widersprüche sich zum Einklange ge-
stalten. Jenes ist komisch, dieses die zur Harmonie werdende Dis-
harmonie. Rein Harmonisches ist schön; eine in das Schöne hinein-
klingende Disharmonie, die sich harmonisch auflöst, vermag sogar das
Lemcke, Aesthetik. 2. Aufl. 5