54
zwischexi
Harmonie
Erscheinung.
und
Wesen
Reinhaltung der Stilarten lässt sich ferner aus dem Gesagten fol-
gern, damit nicht durch das, was nur dem Einen entspricht, ein Anderes
im wahren Ausdruck seines Wesens getrübt werde. Das Wesen soll ja
rein zu Tage treten. Architectur, Plastik, Malerei haben z. B. gewisse
gemeinsame Grundbegride, gehen aber sonst weit auseinander. Eine
plastische oder malerische Architectur, eine architectonische Plastik
u. s. W. sind danach unvollkommene Stilarten. Ebenso, wenn das Tra-
gische episch, das Epische lyrisch, wenn Musik für Wortpoesie dienen
soll u. s. w. Je nachdem in solchem Idall der Stil verletzt wird, steigert
sich der Eindruck vom Unvollkommeneil bis zum Hässlichcn.
Wenden wir das Gesagte noch etwas naher auf den Stoff an.
Jeder Stoff hat einen mehr oder minder bestimmten Ausdruck und da-
nach mehr oder minder seinen Stil. Wird dieser verletzt, so entsteht
der Eindruck des Unnatürlichen, einer Disharmonie. Holz hat z. B.
wegen seiner Zähigkeit. Elasticität n. s. w. einen andern Stil als der
unelastische Stein. Den Stein nun in Formen zivingen, etwa durch ver-
borgene Klammern u. drgL, die ihm eigentlich wegen seiner Brüchig-
keit widersprechend sind und nur kräftig elastischen Holzbalken ent-
sprechen würden, heisst den Steinstil verletzen. In dem Augenblicke,
wo wir erkennen, dass wir Stein vor uns haben und dieser wider seine
Natur behandelt ist, bekommen wir den Eindruck der Disharmonie.
Gewahren wir keinen Stein, so kann natürlich auch dessen Stil in
unseren Augen nicht verletzt erscheinen. Ist der Schein desselben also
durch Bemalung, Verkleidung u. s. w. aufgehoben, so kann auch keine
Disharmonie für uns entstehen. Man ersieht daraus, wie Wohl dem
Künstler häufig dasjenige Material, das sich allen seinen künstlerischen
Absichten gleichsam willenlos fügt, das liebste sein kann. Er ist hin-
sichtlich seiner subjectiven ästhetischen Ideen dann am wenigsten ge-
bunden. Der lcichtest zu handhabende Stoff bietet sich für den Künstler
im Gedanken dar, der allerdings wieder nach logischer Richtigkeit, Be-
stimmtheit u. s. w. seine strengen Anforderungen macht. In der Phan-
tasie entwirft, plant, baut u. s. w. sich's am leichtesten.- Der Stein macht
andere Ansprüche, wo er in seiner natürlichen Beschaffenheit zu Tage
tritt, als der Bewurf, dernur zum Theil an Stein, der an Erdschlem-
mnng u. s. w. erinnert, durch seine Unentschiedenheit aber viel leichter
mit sich umspringen lässt, als der gewachsene Stein. Dagegen steckt
nun eine je höhere Fülle von Schönheit in einem Stoff, je characteristi-
scher er ist. Wenn der eine Künstler, den subjectiven Ausdruck seiner
Schönheitsideen verfolgend, das Material zu vernichten suchen wird,
um einen willenlosen Stoff zu bekommen, so wird ein Anderer wieder
die Objective Schönheit des Stoffes vor Allem zur Entfaltung zu bringen
Sllßhen und damit wirken. Beide können Schönes schaffen. Die wahre
Harmonie besteht aber auch hier in der Vereinigung des Einen und des
Andern: Jedem sein Recht und Keinem ein Vorrecht. In den höchsten