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Harmonie zwischen
lörscheinung.
und
Wesen
tischen Anforderungen sind bei einem weniger bedeutenden Gegenstand
erfüllt und ebenso alle ästhetischen Anforderungen bei einem Gegen-
stand einer höheren Stufe, so ist klar, dass der letzte mir mehr gefällt
als der erste._ Um meine höhere Befriedigung, die ich für das Bedeu-
tendere empfinde, ist das ästhetische Interesse über das des Unbeden-
tenderen gewachsen. So giebt es unzählige ästhetische Stufen, die
aber parallel behandelt werden müssen. Nehmen wir ein Beispiel.
Die Säugethiere sind bedeutender als die Vögel, die auf einer niedri-
geren Stufe erscheinen. Das heisst aber nicht, dass ein herrlicher
Falke oder Steinadler hässlicher ist als eine Ratte oder eine alte Katze
oder ein dürrer Gaul u. dgI., sondern man muss ihn etwa dem mäch-
tigen Löwen gegenüberstellen. Sind Adler und Löwe, jeder in seiner
Art schön, so wird doch der Löwe den Adler weitaus in unserer ästhe-
tischen Schätzung besiegen. Oder nehmen wir ein Beispiel aus der
Malerei. So viel höher der Mensch als das Thier steht, so viel höher
die Kunst, den Menschen wiederzugeben als das 'I'hier. Nun handelt
es sich aber nicht darum, das Bild eines sehmierenden Historienmalers
mit einem Paul Potter zu vergleichen, sondern es gilt einem Gemälde
Potters das Gemälde eines in seiner Art ebenso bedeutenden Historien-
malers entgegenzusetzcn. Ein Rubens wird also in seinen trefflichen
Leistungen höher stehen, als sein Thiere malender ausgezeichneter
Zeitgenosse. Man kann nur zu oft diese so einfache Wahrheit ver-
kannt sehen; in dem heftigen Streit über Form und Wesen in der
Aesthetik werden häufig Wesen oder Form in der einseitigsten Weise
aufgefasst, und müssen die unpassendsten Vergleichungen herhalten,
um die eine oder die andere Ansicht zu vertheidigexi. Ein hässliches
Ding einer bcdeutenderen Stufe ist ästhetisch nicht so wohlgefällig,
als ein schönes Ding einer niederen. Aber sind beide schön, dann
wird sich der Sieg bald ausweisen.
Ein hässliches Ding einer höheren Stufe kann hässlicher sein, als
ein hässliches Ding einer niederen. Dies scheint ein Widerspruch; er
löst sich aber leicht. Je höher der Wurf, desto tiefer der Fall. Die
Bedeutung des Niedern ergreift uns nicht in dem Maasse, wie das
Höhere. Eine Enttäuschung von schwächerer Einwirkung aber schütteln
wir leichter ab, als die einer stärkeren. So empfinden wir bei gleicher
Hässliehkeit verschiedener Stufen die Hässliehkeit in umgekehrter
Proportion ihrer Bedeutung. So viel höher das schöne Bedeutende
steht, so viel tiefer das hässliche Bedeutende. Das schöne Ding der
höheren Stufe ist immer schöner als das der niederen. Was nun
einer höheren Stufe angehöre, ist freilich wieder streitig. Wo Streit
herrscht, muss der Standpunkt darüber festgestellt werden; die Frage
ist aber nicht immer so einfach wie die: ob der Mensch oder das Thier
höher steht? In sehr vielen Fällen wird die Beantwortung schwierig,
z. B. in den Fallen, wo eine grösserc Anzahl von weniger bedeutenden