542
Die Dichtkunst.
wird hier durch die geringe Zahl auch eine Beschränkung der Hand-
lung geboten. Möglichenfalls wird hier nur der Höhepunkt derselben
gegeben.
Man vergleiche das Drama eines Aeschylus mit dem eines Shake-
speare. Sie sind beide in ihrer Weise gleich richtig, jenes in seiner
Allgemeinheit, dieses in der individuellen Auffassung und Behandlung.
Als einen Versuch, diese Extreme zu verbinden, ohne von dem einen
oder andern viel zu opfern, kann man, unter anderen, Schillefs Jung-
frau von Orleans ansehen. Der Dichter giebt darin eine viel umfassende
Handlung, viele Personen und bleibt doch mehr in der Allgemeinheit,
als dass er scharfe, individuelle Charactere zeichnete, wie sie etwa sein
Wallenstein zeigt. Nach dem Gesagten mag man auch Schillers Vor-
schlag betreffs des Chors in der Braut von Messina beurtheilen, für
welchen er anstatt zweier Chorführer und des Gesangs sieben Sprecher
verschlägt. Der Gesang hat an sich schon etwas Allgemeines; jeder
Halbchor steht nur für eine Person. Wenn die Chöre nun aber in vier
und drei Sprecher aufgetheilt werden, so werden diese Sieben auf der
Bühne trotz der wundervollen Dinge welche sie sagen, einen unleben-
digen Eindruck machen. Sieben Personen ohne scharfe Persönlichkeit!
Von denen der Eine ganz gut sagen könnte, was der Andere sagt! Wir
werden ihnen als Persönlichkeiten kein Interesse abgewinnen können.
Wozu dann aber so viele Sprecher gebrauchen, dafür sieht der Zu-
schauer keinen Grund und in Folge dessen wird es schwierig sein, unter
solchen Umständen einen harmonischen Eindruck zu machen.
Jede Dichtung ist auf die lebendige Rede, Gesang u. s. w. angelegt.
Das Drama, welches in der angegebenen Weise aus Reden besteht,
durch welche die Handlungen der Personen offenbar werden und sich
weiter ergeben, soll also gesprochen werden, und zwar jeder Persönlich-
keit gemäss. Die Aufführung d. h. die Darstellung der Handlung durch
sprechende Personen ist damit gegeben; dass die redenden Personen
auch die entsprechenden Handlungen, nach Geberden, Bewegungen etc.
machen, also den mimischen Ausdruck zu Hülfe nehmen, da sie sonst
nur wie redende Puppen erscheinen würden, ist dadurch mitbedingt. So
haben wir hier den vollsten Gegensatz zum Epos, bei welchem ein Er-
zähler Alles berichtet, das Milde wie das Schreckliche, das Unbedeutende
wie das Bedeutende. Während beim Vortrage des Epos immer die Ein-
heit des Erzählers zu berücksichtigen ist und dieser innerhalb der nöthi-
gen Modulation doch Alles in seinem Ton vorzutragen hat und fehlerhaft
wird, wenn er nach Art des Dramas etwa jede wechselnde Person mit
verstellter wechselnder Stimme sprechen wollte dazu benachrichtigt
uns der Erzähler durch die Worte: da sprach der, dann der u. s. f.,
damit wir nicht in Irrthum fallen können so hat im Drama jede
Person ihren besondern Träger. Geschieht dies der Art, dass jede
Rolle von einem besondern Schauspieler gegeben wird, so ist von Natur