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Dichtkunst.
Die
Sprache angepassten Versen, möglichst natürlicher Action u. s. W. eine
unausstehliche Disharmonie erzeugen. Und während in diesem Prosa
gebraucht sein darf, ist sie in jenem undenkbar. Die griechischen Tra-
giker handelten richtig und die grossen englischen Tragiker ebenfalls.
Sie hatten Stilgefühl. Stil aber besteht nicht in absoluter Einförmigkeit.
Jeder derartige Uebergang in der Kunst muss richtig vermittelt sein.
In der verschiedensten Weise kann nun der Dichter zu Werke
gehen, der uns jene Wechselwirkung in richtiger Weise zeigt. In grossen
Zügen bestimmt, kann er entweder den Menschen im Allgemeinen oder
einen besondern Menschen zum Vorwurfe für sein Drama nehmen. Da
WO er einen typischen, allgemeinen Character, den Menschencharacter
behandelt, wird er auch das auf ihn Wirkende nicht in einer Besonder-
heit sondern ebenfalls in seiner Allgemeinheit zu zeigen haben. Wir
werden ein allgemeineres Menschenloos sehen. Der allgemeine Cha-
racter wird auch ein allgemeines Schicksal verlangen, der besondere ein
mehr besonderes Schicksal. Andernfalls würde leicht eine Disharmonie
entstehen.
Was nun aber diese Allgemeinheit und die Besonderheit, das Indi-
viduelle der Auffassung betrifft, so ist kaum nöthig, wieder darauf hin-
zuweisen, wie jene in der Kunst niemals schematisch sein darf, sondern
stets von innerer Lebenskraft, von Eigenlebigkeit erfüllt sein muss, wie
aber das Besondere durch die Kunst in die Allgemeiugültiglzeit zu heben
ist. Das Verhältniss des Rein-Besondern, also z. B. des Zufälligen zur
Kunst ist früher Gegenstand der Erörterung gewesen.
Aus dem Gesagten folgt, welche bedeutende Einwirkung der Stoff
auf die Behandlung haben wird. Wählt der Dichter ihn aus der Mythe
oder Sage, denen allgemeine Ideen, dichterisch verkörpert, zum Grunde
liegen, so wird auch eine allgemeinereBehandlung, also typische Charac-
tere geboten sein. Andernfalls müsste er den ganzen Oharacter der Sage
verändern, ihr ein anderes Leben einflössen, um keinen Bruch ZWISClIEII
Inhalt und Erscheinung eintreten zu lassen. Ganz in derselben Weise
wird der Dichter sich in der Allgemeinheit halten müssen, wo er uns
eine typische Verkörperung eines Standes, einer Menschenklasse u. s. w.
verführt, etwa den Schneider oder Schmied, den Geizigen oder lüsternen
Frömmler, den echten Aristokraten oder den Mann des Volks, den
Franzosen oder den Engländer u. s. w. Ein allgemein menschlich ge-
fasster Oedipus und eine Personificirung etwa eines Geizigen verlangen
beide, aus innerer Nothwendigkeit typische Behandlung. Man mag
diese Art und Weise schätzen, wie man will; an sich ist sie richtig.
Wenn der Dichter nun aber eine scharf sich aus dem Allgemeinen
loslösende Persönlichkeit wählt, etwa eine historisch genau bestimmte,
welche keine Allgemeinheit, sondern vor Allem sich selbt repräsentirt
und Illlr durch ihre innere Wahrheit mit dem Allgemeinen zusammen-
hängt, dann hat er in ihr auch nicht etwa ein allgemeines Menschenloos