Drama.
Das
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von Barnhelm, Emilia Galotti, Göthe's Götz von Berlichingen, Clavigo,
Egmont, Schilleris mächtige Erstlingsdramen u. a. sind in Prosa ge-
schrieben. Aber so wie in diesen Männern, namentlich in Göthe und
Schiller das echte Kunstbewusstsein über jene andern, ob noch so gross-
artigen ausserästhetischen Absichten siegt, sobald greifen sie zum Vers.
Sie wählten alle den fünffüssigen Jambus, dessen Vortreiflichkeit für die
bewegte Rede wir bei den Versmaassen hervorgehoben haben. Ueber
den Trimeter der Alten wurde ebendaselbst gesprochen. Die Spanier
gebrauchen den Trochäus. Er fliesst mehr abwärts, hat nicht den An-
drang des Jambus, welcher diesen zum Dialog, zur bewegten Sprache so
vortreiflich macht. Bei uns ist auch der sogenannte Knittelvers ge-
braucht worden, ein Vers von vier Hebungen und unbestimmten unbe-
tonten Silben mit Reim, z. B. von Göthe im Faust, von Schiller in
Wallensteins Lager. Die Knittelverse haben für uns meist eine mittel-
alterliche Färbung; über den Reim für die Gesprächsrede ward schon
gesprochen. Im Allgemeinen steht der fünffussige Jambus als Ge-
sprächsvers bei uns fest und mit Recht. Dass ein schön dnrchgebildetes,
auf der Höhe stehendes Drama auch eine Kunstsprache der Verse nicht
bloss ertragen muss, sondern sie verlangt, braucht hier nicht näher aus-
einander gesetzt zu werden. Schon die Sprache muss aus einer ge-
wöhnlichen Nachahmung des Lebens und dessen alltäglichen Weisen
in die Sphäre der Kunst versetzen. Natürlich wird naturalistische
Nachahmung darum auch nicht den Vers vertragen, sondern Prosa ver-
langen. S0 in den dramatischen Genrebildern, dann besonders im
niedrig-komischen Drama. Da wo der Dichter höhere und niedere
Sphären miteinander wechseln lässt oder Personen aus ihnen durch-
einander gebraucht, lässt er wohl einen Wechsel zwischen Prosa und
Vers eintreten. So z. B. Shakespeare, der seinen edlen Personen Verse,
seinen Clowns und Leuten aus niederm Volk Prosa giebt. Es gilt hier
dasselbe, was von dem Uebergange der Sprache in Gesang früher be-
merkt worden. Dort wo die Verssprache scharf, lebendig, in ihrer
Kürze, in ihrer ganzen Behandlung an das Leben erinnernd ist, wird sie
in Prosa übergehen können, ohne dass wir eine Disharmonie bemerken.
Shakespeares Figuren sind alle wie aus dem Leben gegriffen und ihre
Sprache ist ihnen angemessen. Sein Heinrich V., sein Hamlet mögen
nicht blos Prosa anhören, sondern auch selber in prosaische Rede fallen.
Wenn aber Schillefs Jungfrau von Orleans oder Göthe's Iphigenie plötz-
lich dasselbe thäten, wäre es ein ganz ander Ding. Der getragene Cha-
racter mit getragener Sprache in Versen wechselt und steigert sich
nöthigenfalls in Gesang. Was in dem antiken Drama kein Bruch war,
weil allgemeinere Charactere, hohe, ausgebildete Diction in ihr herrsch-
ten, weil alle Bewegungen schon wegen des Kothurns u. s. w, ge-
tragener waren: der Uebergang von der Rede in Gesang, das würdg in
einem Drama mit individuellen Characteren, möglichst der gewöhnlichen