Volltext: Populäre Aesthetik

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Die Dichtkunst. 
faltigkeit ist, ohne der Einheit zu schaden, desto besser. Die ganz ein- 
fachen Fabeln sind daher weniger entsprechend als die "verwickelten". 
Sobald aber die Einheit gestört, das Ganze weniger übersichtlich, weil 
zu verwickelt und verworren wird, sobald das Bestreben sich kundgiebt, 
inEinzelheiten zu verfallen, sobald ist Uebermaass eingetreten. Die 
Geschlossenheit des Drama's und die Harmonie der Theile hat sich 
ebenso nach allen unseren Anforderungen zu gestalten. Die Fabel darf, 
„da sie Darstellung einer Handlung ist, nur eine und diese ganz vor- 
stellen, und die Thatsachen, welche Theile derselben sind, müssen auf 
eine solche Art verbunden sein, dass wenn ein Theil versetzt oder weg- 
gelassen wird, das Ganze auseinander gerissen und zerriittet wird. Denn 
was da sein oder auch nicht da sein kann, ohne etwas in der Handlung 
bemerkbar zu machen, ist gar kein Theil des Ganzen". Zu solchen 
überliussigen Einschiebseln gehören die sogenannten Episoden. Des- 
wegen sind nach Aristoteles die episodenreichen Fabeln und Handlungen 
die schlechtesten.  
Was die Ordnung des ganzen Stoffes betrifft, so gelten einfach die 
oft angeführten Gesetze. Ist er gross, so bedarf er zur Uebersiehtlich- 
_keit der schönen Gliederung. Er setzt sich aus mehreren Handlungen 
 Auftritten, Scenen  zusammen. Ein vielumfassender Stoff zerlegt 
sich in grosse Hauptgruppen, Acte, die sich wiederum in sich gliedern. 
Jede der Hauptgruppen ist wieder mit einer gewissen Selbständigkeit zu 
behandeln, ähnlich wie jede Gruppe innerhalb eines grossen Gemäldes 
sich aufzubauen hat. Ueber die Ungleichmässigkeit der Theilung, das 
Gegengewicht, die Proportion ward an seinem Orte gesprochen. Wir 
lieben auch hier die gleiche Theilung weniger, als die ungleiche. Leben- 
diger baut sich die Dreitheilung auf als die starrere Zweitheilung, welche 
gleichsam nur Anfang und Ende, keine Mitte hat. Für ein grösseres 
Drama ist aus den oft angeführten Gründen die Fünftheilung die belieb- 
teste; sie giebt uns in den fünf Acten eine reiche, bewegte und doch 
gute zu übersehende Gliederung (die Oper liebt die Dreitheilung; manche 
Völker gehen in ihren Dramen zur siebenten und höheren Theilung). 
Wir finden, schon aus der Anforderung, im Drama eine Handlung zu 
sehen, die sich aus anderen Handlungen zusammensetzt, das Princip 
der Gipfelung deutlich verlangt. Ein Höhepunkt muss unter solchen 
Umständen eintreten, zu dem der voraussetzungslose Anfang hinauf- 
führt, und der selbst zum Ende hinabsinkt. Das Epos gleicht dem 
Friesbilde, das sich daliinzieht und dem wir folgen. Das Drama steht 
einem Gruppenbilde ähnlich vor uns. Dieser Höhepunkt kann genau in 
der Mitte liegen, wird aber meistens die genaue Regelmässigkeit ver- 
meiden; in dem fünfactigen Stück z. B. fällt der Höhepunkt in den 
dritten Act. In ihm aber kann er zu Anfang, in der Mitte, oder wie 
gerne geschieht, zu Ende des dritten Actes liegen- Hierüber, Sowie 
für das Drama überhaupt, verweise ich auf die ausführliche Ab-
	        
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