Volltext: Populäre Aesthetik

Drama. 
Das 
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muss, sondern auch nicht jede beliebige Grösse haben darf (denn in der 
rechten Grösse und Anordnung liegt die Schönheit); so kann aus diesem 
Grunde weder ein überaus kleines Gemälde schön sein, weil die An- 
schauung desselben nicht zur Deutlichkeit gelangen kann, da sie in 
einem Zeitraum, der sich dem Unmerklichen annähert, vollzogen wird, 
noch auch ein überaus grosses, weil hier die Anschauung nicht zugleich 
das Ganze umfassen kann, sondern dem Beschauenden die Einheit und 
Ganzheit bei der Beschauung verloren geht, wie z. B. wenn ein Gemälde 
250 Meilen gross wäre. Wie daher bei leiblichen Gestalten und bei 
Gemälden zwar eine gewisse Grösse Statt haben, dieselbe aber leicht zu 
überschauen sein muss: so gilt es auch von der Fabel der Tragödie, 
dass sie zwar einen gewissen Umfang haben, dieser aber leicht zu be- 
halten sein müsse. Allein die Bestimmung der Gränzen des Umfanges 
in Rücksicht auf die Aufführung und sinnliche Darstellung ist nicht 
Sache der Kunsttheorie   . Was aber die in der Natur der Sache selbst 
liegende Granzbestimmung betrifft, so ist jedesmal die Handlung, je um- 
fassender sie ist, sofern sie dabei überschaulich bleibt, desto schöner in 
Hinsicht auf den Umfang. Um es ohne Umschweif zu sagen: derjenige 
Umfang von wahrscheinlich oder nothwendig auf einander folgenden Be- 
gebenheiten, in welchem ein Schicksalswechsel aus Unglück im Glück 
oder aus Glück im Unglück vorgehen kann, das ist die ausreichende Be- 
stimmung für den Umfang der qlragödie." 
Das Drama muss eine Einheit in der Vielheit oder besser Mannig- 
faltigkeit sein. Eine einzige Begebenheit ist nur eine Scene, kein kunst- 
volles Drama. Die Einheit der einen, werdenden Handlung muss also 
aus Theilen bestehen, die organisch zusammenwachsend die Einheit bil- 
den; in ihnen muss Uebereinstimmung, Zusammengehörigkeit, Gleich- 
gewicht u. s. w., aber auch der richtige Wechsel herrschen, damit die 
Mannigfaltigkeit uns erfreue und nicht übermassige Einheit eintönig werde. 
Für den Wechsel können wir auf des Aristoteles soeben angeführte 
Worte verweisen. Der grösste derartige, das Ganze beherrschende 
Wechsel im Drama wird ein Uebergang vom Glück zum Unglück oder 
vom Unglück zum Glück sein. Sodann wird Wechsel durch die Ver- 
schiedenartigkeit der Theile eintreten, also verschiedene Personen, z. B.: 
Mann und Weib, Jung und Alt, Kühne und Feige, Starke und Schwache, 
Gute und Böse. Damit sind Sprache, Absichten, Bestrebungen, ist Lei- 
den und Handeln aller Persönlichkeiten auch verschieden und ergiebt 
Mannigfaltigkeit. Lauter Gute, lauter Böse, Starke u. s. w., lauter 
Männer, Weiber, Greise, Jünglinge in einem Drama werden es, tfQtz 
der inneren Verschiedenheit, die noch walten kann, in die Gefahr brin- 
gen, eintönig zu erscheinen. Dasselbe mit den Absichten. Eine einzige 
Absicht, ein einziger Wille, Zweck ist eintönig. Mindestens der Wechsel 
von Streben und Gegenstreben wird erfordert, mindestens zwei Kräfte 
müssen gegen einander wirken. Je reicher der Wechsel, die Mannig-
	        
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