44
Das Schöne.
ihrer Schwere so gruppirt sein, dass sie sich das Gegengewicht halten,
also auf der einen Seite etwa eine längere und weniger breite, auf der
andern eine kürzere, aber breitere Zusammensetzung haben. Also
haben wir hier hinsichtlich des Maasses der körperlichen oder geistigen
Schwere Einheit in der Vielheit oder Mannigfaltigkeit, welche erfreut.
Das Maass darin erfreut, Maasslosiglzeit giebt das Gefühl der Nicht-
befriedigung, der Unruhe.
Nehmen wir für das Gleichgewicht in der Bedeutung das fünfactige
Drama. Es theilt sich zu drei und zwei Acten. Wiegen diese letzten
zwei nicht durch ihre grosse Bedeutung jene drei ersten auf, so fällt
das Stück ab, indem der Anfang dann durch die Masse ein Ueber-
gewicht hat. Darum muss das Gewicht die Masse ersetzen, die Be-
deutung der zwei Endaete die der drei Anfangsacte aufwiegen und in
dieser Weise eine freie Harmonie erzeugen. Ungleiche Theilung,
Gleichheit durch Gegengewicht Freiheit und Maass. Ebenso bei
einem aus Vorder- und Nachsatz zusammengesetzten Satz. Je kürzer
der Nachsatz, desto gewichtiger, treffender muss er sein; ein Wort
kann Perioden aufwiegen. Versteht man aber demselben nicht das
nöthige Gegengewicht zu geben. so geht der Schlag in die Luft, so
ist der Satz albern oder stumpf gleich kräftig müssen die Arme
des Bogens sein, der einen geraden, sichern Schuss schnellen soll.
Dasselbe Gesetz herrscht in der altdeutscheu Priamel, im Epigramm,
soll im Sonett etc. befolgt werden.
Einfacher noch ist es an schönen Körpern zu erkennen. Bei den
streng symmetrischen versteht sich das Gleichgewicht so gut wie von
selbst. Sie sind meistens symmetrisch wegen des Gleichgewichts. Aber
nehmen wir z. B. die unsymmetrischen Seitenansichten des Menschen.
Hier finden wir das Gegengewicht aufs tretflichste ausgesprochen.
Das scharfe bedeutende Gesicht leistet es gegen den ltlinterkopf und
dessen Haarschmuck. Fehlt der Hinterkopf, so scheint das Gesicht
das Haupt vornüberzuzielieii. Das Gesicht wirkt dabei namentlich
durch das Knochige, Feste seiner Parthien; ebenso wiegen die festen
Linien der Brust und der Schenkel der weiche Bauch gegen die
Rückensenkung jene gegen die ebenso festen Schultern, diese in
ihrer Prallheit und Festigkeit gegen die Anschwellungen des unteren
Sitz-Theiles, die harten Schienbeine gegen die Waden. Bei jedem
Ueberwiegen bekommen wir einen unangenehmen Eindruck. So beim
Diekbaueh, namentlich wenn dieser, wie häufig, gesässlos ist; so bei
der Hottentottin-Schönheit.
Ein anderes Gegengewicht bekommen wir bei der Zeising'schen
Theillmg- Hier steht der massiver-e, bedeutende Oberkörper im
Gegengewicht zum Unterkörper, Gleichheit in der Ungleichheit
zeigend.
Noch einige Beispiele von Gegengewicht auch in der Thierwelt.