Drama.
Das
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noch übergute, noch verschwimmende Seelen, welche ohne Rück-
wirkung sich den Einwirkungen Anderer hingeben. [Dass ein blosses
Schmerzerleiden, eine Empfänglichkeit für körperliches Weh die starren
Charactere nicht brauchbarer macht, sei schon hier bemerkt. Ein ge-
fühlloser Mensch wird dadurch für den Dichter nicht dramatisch brauch-
bar, dass er ihn hinterher körperlich quälen lässt]
Aristoteles folgert aus dem Satze, dass die Tragödie eine Dar-
stellung von Begebenheiten bieten soll, welche Furcht und Mitleiden
erregen, (siehe Abschnitt: Das Tragische) ebenso, dass in derselben
weder untadelhafte Männer noch durchaus Böse vorgestellt werden dür-
fen, wobei er freilich den Schicksalswechsel besonders betont.
Das Drama lasst eine Handlung durch handelnde Personen ge-
schehen. Die Handlung als Ganzes ist also die Hauptsache. Die Dar-
stellung der Handlung wollen wir hier mit Aristoteles die Fabel nennen.
Die Fabel ist somit das Erste; die handelnden Personen sind erst die
Theile und stehen in dieser Beziehung in zweiter Linie. Die Menschen
handeln ihrem Oharacter gemäss, aber "man handelt nicht, um seinen
Charakter darzustellen, sondern macht durch seine Handlungen zugleich
auch seinen Oharacter kund," sagt Aristoteles, dessen Worte von der
Tragödie wir hier allgemein nehmen. „Daher sind die Thatsachen und
die Fabel der Endzweck der tragischen Darstellung; der Endzweck aber
ist in Allem das Höchste der Grundhestandtheil also und gleichsam
die Seele der 'l'ragödie ist die Fabel; das Zweite darin aber-sind die
Charactere." Das Dritte nennt er die Gedanken: "dasjenige, mittelst
dessen die Handelnden redend etwas darthun oder auch eine Meinung
äussern." Es scheitern nun so viele dramatische Dichter deswegen,
weil sie diesen Satz nicht begreifen und nicht das Ganze in's Auge
fassen, sondern nur das Einzelne, und ihre Aufgabe darin iinden,
Charactere von Menschen zu zeichnen und psychologische Zergliederungen
derselben zu geben. Ihre Werke können alsdann nicht einheitlich zu-
sammengehen, sondern müssen auseinanderfallen und sie werden sich
gegen die Regeln der Kunst im Allgemeinen und des Drama's im Beson-
dern in das Einzelne versplittern, statt das Einzelne zu einem Ganzen
zusammenschiessen zu lassen. Nicht die Darlegung des Characters,
sondern die Fabel, die Gesammthandlung bildet den Inhalt des drama-
tischen Kunstwerks. (Die Bühnenroutine weiss dies und handelt da-
nach, und hat deswegen wohl bei sonst schwachen Kräften oft; so
grossen Erfolg, während die bedeutendsten Talente, falsche Wege ver-
folgend, sich oft auf's Aeusserste abquälen, ohne den sogenannten
Biihnenelfect zu erreichen. Dieser Bühnenerfolg liegt nicht in dieser
oder jener Kraftscene, sondern in der Handhabung des ganzen Stoffes
nach dem soeben ausgesprochenen Grundsatze, welchen anzuerkennen
und die Unterordnung der Characterzeichnung unter die Gesammthand-
lung durchzuführen, so manche Dichter sich nicht entschliessen können.)