Volltext: Populäre Aesthetik

Zu der Wechselwirkung, welche das Drama als Einheit des Epischen 
und Lyrischen erfordert, ist nöthig, dass weder die Activitat noch die 
Passivität einseitig sei. Ein blosses Wirken der Aussenwelt auf ein 
Subject, seinerseits nur ein Empfinden, nur ein Erleiden ist ebenso dem 
dramatischen Begriffe widersprcchend als ein blosses Wirken auf die 
Aussenwelt, ein stetes Thun nach Aussen ohne Rückschlag. Ein Dulder 
ist kein dramatischer Held; aber auch derjenige Held eignet sich nicht 
für das Drama, welcher nur handelt und die Rückschläge seines Handelns 
nicht verspürt. Ein solcher ist episch. Der echt epische Held handelt, 
ohne dass seine Thaten oder die Ereignisse nun selber innren Einfluss 
gewinnen; der echt epische Oharacter ist ungebrochen, mit sich im 
Ganzen einig, Hammer oder je nachdem auch Ambos, der die Schläge 
Anderer aufnimmt, aber seinem Wesen nach unberührt bleibt. Der 
dramatische Held erleidet stärkere Einwirkung, wird durch sie innerlich 
bestimmt, verwandelt; seine Gegenhandlung ist dieser Wandelung ent- 
sprechend, die Folge davon bleibt wieder nicht aus; Eins spinnt sich 
aus dem Andern bis zum glücklichen oder unglücklichen Ende. Odysseus 
bleibt von Anfang bis zum Schlusse derselbe, in allen Lagen gefasst, 
listig, kühn, ausdauernd, bis er sein Ziel erreicht hat; Achill, obwohl 
bei ihm ein tragisches Moment hinzukommt, ist in Groll, Zorn, Schmerz, 
Betrübniss, Freude immer derselbe Character, der keinen inneren der- 
artigen Rückschlag über seine Handlungen verspürt, dass er dadurch 
aus seiner Bahn geworfen würde. Percy, der Heisssporn geradeso. Sie 
sind epische Helden. Aber auch Oedipus ist ein Held, Ajas ein Held, 
aber sie vermögen dem Rückschlag ihrer Thaten, wenngleich dieselben 
unwissend oder im Wahnsinn verübt wurden, nicht Stand zu halten; 
Macbeth und der furchtbare Richard III. vermögen das Gewicht ihrer 
Handlungen nicht zu tragen und brechen unter der Rückwirkung zu- 
sammen. Der dramatische Character darf deshalb, um voll zu ent- 
sprechen, nicht ein solcher sein, dem "dreifaches Erz die Brust um- 
giebt", und der gegen jede Einwirkung von Aussen unempfindlich ist, 
noch darf er ein nur leidender sein, der dann lyrisch seinen Empfindungen 
Ausdruck giebt. Natürlich kann man solche epische oder lyrische 
Helden dramatisch behandeln, doch wird die fehlende Ineinanderwirkung 
der Aussenwelt und der Subjectivitat im Helden ein Mangel bleiben. 
Darum sind alle zu weichen und alle zu harten, starren, unwandelbaren 
Charactere als Träger des Dra1na's ausgeschlossen. Ganz einseitig 
gute oder böse Menschen finden da keine Stelle. Wenn Richard III. 
nicht von Gewissensbissen gefoltert würde, wenn Macbeth nicht nach 
seinen Thaten das Grausen mit sich trügc, so wären sie undramatisch. 
Weder der gefühllose Barbar, die grinsende stumpfe Henkerseele mit 
Freude am Leiden, der absolute Bösewicht, der steinharte grimme Held 
der nordischen Sage oder der echte Vertreter orientalischen Despotis- 
IIIUS Oder des überzeugungssicheren Zelotenthums sind zu gebrauchen,
	        
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