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Die Dichtkunst.
vom reinen Empfinden zum reinen Handeln ist nichts gethan. Das lyri-
sche und epische Nebeneinanderrund Auf- und Ab- und Hin- und
Widerspringen von einer Thätigkeit in die andere giebt keine Ver-
schmelzung. Ein Epos wird dadurch kein Drama, dass man die Worte
des Erzählers streicht und die Reden, welche er etwa in directer Weise
giebt, von verschiedenen Persönlichkeiten aufführen lässt. Man lasse in
Rede und Antwort die schönste Lyrik von Personen vortragen und es
ist doch noch keine Handlung damit gegeben: ebensowenig aus dem
Nebeneinander von epischen und lyrischen Stücken. Das Drama
muss ein einheitliches organisches Gebilde sein, in welchem Alles leben-
dig in einander übergeht. Dass manche Völker oder manche Zeiten
nicht über das lyrisch-epische Nebeneinander hinwegkommen können
und, wie z. B. unser Mittelalter darin stecken bleiben, mag auf die
Schwierigkeit solcher lebendigen Verschmelzung aufmerksam machen.
Menschliche Handlungen bilden den Inhalt des Drama's. Das Epos
erzählt das Gewordene; die Lyrik drückt einen Zustand, ein Sein aus.
Das Drama zeigt uns das Werden.
Im Epos ist ein Erzähler der Vermittler und zwar ein solcher, der
die Geschichte bis zum Ausgang seiner Erzählung keimt, der also das
Kommende weiss und uns schon beim Beginn sagen kann, wie das Ende
war, der im ganzen Verlaufe uns dasselbe andeuten oder vorhersagen
und sich darauf beziehen kann.
Im Drama haben wir in jedem Augenblicke handelnde Gegenwart,
ein Sein im steten Uebergang zum Werden; die Persönlichkeiten, welche
die 'I'rager der Handlung sind, stehen für sich da. In dieser zur Zukunft
führenden Gegenwart ist deshalb an sich das Zukünftige durchaus un-
bekannt und nur zu vermuthen, nie zu wissen. Die Handlungen machen
das Ergebniss. Der Dichter darf also durchaus nicht als ein dasselbe
Wissender erscheinen, wie der Epiker. Ein Drama, bei welchem der
Schluss nicht eine Folge des Voraufgegangenen ist, sondern bei dem
man merkt, dass auf einen bestimmten Schluss mit Absicht hingearbeitet
wird, ist ein Widersiun; ein Beziehen des Dichters oder der-Personen
auf das Ende als ein genau Bekanntes, was dem Epos durchaus ent-
spricht, wird im Drama als ein an sich Unmögliches im besten Falle
komisch; sonst ist es ein plumper Fehler, ein Unsinn. Nur die Ahnung,
Vermuthung, Befürchtung, auch die feste Ueberzeugung, dass etwas so
und so kommen müsse, weil so und so gehandelt ist, kann im Drama
herrschen; aber kein Wissen, bis die Wirklichkeit des Geschehens ein-
tritt und von Moment zum Moment zum Ende führt.
Der epische Erzähler soll objectiv berichten und selbst so viel als
möglich zurücktreten. Aber im Drama ist gar kein Erzähler, kein
Mittelglied zwischen Handlung und uns vorhanden. Die Hälllllung geht
in lyrischer Unmittelbarkeit vor sich d. h. nur die Handelnden sind da
und sprechen sich aus. Der Dichter ist dabei gar nicht thatig; er ist