Das Drama.
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zur Geltung käme, sondern jene muss auf diese, diese muss auf jene
bestimmend, treibend oder ändernd einwirken. Ereignisse und Inner-
lichkcit greifen ineinander. Im Flusse des Lebens, in dem ewigen
Werdeprocess, daraus es besteht, ist allein eine Einwirkung beider
Kräfte aufeinander möglich. Jede solche Einwirkung setzt eine Thätig-
keit, ein thätigcs Subject und ein Object, welches erleidet, voraus.
Das Epos kann uns Dinge erzählen, denen gegenüber der Mensch
ganz frei beobachtend steht; genug, dass er sie mit seiner Phantasie
auffasst und in ihrem Verlaufe wiedergiebt. Die Objecte führt er vor.
So kann der Erzähler uns z. B. die Entstehung der Erde schildern oder
das Wachsen eines Baumes. In der Lyrik sind wir enger begränzt; nur
die menschliche Empfindung kann da in Betracht kommen; die Lyrik
ist nur auf das Menschliche beschränkt oder muss doch, wo sie die
Aussenwelt hereinzieht, um dieselbe lyrisch hinzustellen, derselben
menschliche Empfindungen, menschliches Gefühl unterlegen. Wenn nun
auch im Epos der Mensch das Höchste bleibt und das hohe epische
Kunstwerk nur dann geschaffen werden kann] wenn nicht bloss Aussen-
weltliches, sondern wenn das Menschliche der Mensch, auch der
Gott, welcher als Person gedacht ist, ein Gottmensch, wie alle ästhetisch-
schönen Götter sind den Hauptinhalt bildet, also ein Mensch der
Held ist, wenn die Lyrik, welche nicht in Phantastik und Unsinn ver-
nebehi will, auf Menschen als Träger der Empfindungen hingewiesen
ist, so sieht man schon daraus, wie das Drama durch die Forderung
der Verschmelzung des Objectiven und Subjectiven das Menschliche
zum Ziele haben wird.
Ein blosses Geschehen in der Aussenwelt hat an sich nichts mit der
Innerlichkeit des Menschen zu thun; es ist noch keine Handlung. Das
Drama aber, auf das Menschliche gestellt, verlangt Handlung. Drama
heisst Handlung (Ügäßw). Die Dichtung hat zum Ausdruck die Sprache.
Alle Handlungen, welche nicht durch die Sprache bcgriifen werden,
fallen aus dem Gebiete der Dichtung. In der Pantomime, wo wir Men-
schen Handlungen vollbringen sehen, fehlt die Sprache; sie gehört also
nicht zum Gebiet der Dichtung und ist in unserem Sinne kein Drama.
Nun soll aber im Drama eine Handlung vor sich gehen und doch ist
an sich der Dichtung nur die Sprache zum Ausdruck gegeben; es folgt
daraus, dass die Sprache der Art sein muss, dass wir die Handlungen
daraus erkennen, dass wir sehen, solche und solche Thaten müssen
dem Ausspruch des Innern folgen oder sind geschehn, dass wir den
ganzen Hergang und Verlauf der Dinge vollständig einzusehen fähig
sind. Nur Handlung (Pantomime) ohne Rede und nur Rede ohne Hand-
lung bilden also die Grenzen des Dramas, beide gleich weit von dem
wahren Drama entfernt, in welchem Handlung und Rede streng aus
einander hervorgehend erscheinen. Handeln und einfach Erzählen, Reden
und dann Handeln ist nur ein dramatisches Stümpern. Mit dem Wechseln
Lemcke, Aesthetik. 2. Anti. 34