Die Lyrik.
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auch wo er es nicht ganz vermag, wo er zu sehr mit dem Inhalt ringt,
wo er vielleicht die allgemeinen Begrilfe mehr hinter Personificirungen
allgemeinster Art versteckt, als er sie zu beleben weiss, auch da werden
Viele ihm natürlich noch entgegenjauchzen. Alle Gebildeten namentlich
werden sich" für ihn regen. Sein Unternehmen ist gross; die Anstren-
gung, welche er zu machen hat, ist ungeheuer. Diese Arbeit des Bahn-
brechens verdient Bewunderung. In dieser Weise war Schiller thätig,
seine Eroberungen auf dem Gebiet des Denkens auch für die Poesie zu
gewinnen. Das Gedicht: die Künstler, ist z. B. seine Aesthetik in Dich-
tung. Namentlich zu Anfang greift er, aber immer grossartig und
bewunderungswürdig, über die Gränzen hinaus. Der Gedanke sucht
sich den Körper, findet aber oft nur eine Vorstellung, durch welche das
Begriffsgerüste ziemlich deutlich hervorblickt. Nichtsdestoweniger zäh-
len solche Gedichte durch die Grösse, Macht und Kühnheit der Ideen,
dann durch die dichterische Bewältigung, wie er, Schiller, es doch ver-
mochte, zu den herrlichsten Erscheinungen. Wer macht es ihm, selbst
da, wo seine Kraft nicht ausreichte, in der Weise nach? Welchen neuen
Schwung hat er gegeben, welche neue Bahnen gebrochen! Aber Muster
sind diese Gedichte darum nicht. Die Idee überwiegt die Vorstellung;
die Harmonie zwischen Inhalt und Erscheinung fehlt. Schiller selbst
wusste das und arbeitete mit seiner ganzen Kraft, dem Mangel abzu-
helfen. Zum Vergleiche betrachte man etwa seine „Künstler" und seine
"Glocke", wie er der Vorstellung zu Hiilfe zu kommen, die Rechte und
Bedingnisse reiner Poesie zu wahren sich bestrebt hat. Eine Behand-
lung, wie wir sie etwa in den „Künstlern" sehen, ist nun freilich ver-
führerisch für den Denker mit poetischem Talent. Grade deswegen ist
aber mit um so mehr Entschiedenheit darauf aufmerksam zu machen,
wie in ihr nicht das richtige, geschweige das höchste Princip der Dich-
tung zum Ausdruck kommt. Die philosophische Poesie bewegt sich in
einer, für die Dichtung gefährlichen Weise an den Gränzen und jenseits
der eigentlichen Gränzen- Die Gedankenschwere darf da nicht ver-
locken. Die volle lebendige Vorstellung bleibt Hauptaufgabe der Dich-
tung. Auch hier liegen freilich wieder manche der bedeutendsten, gross-
artigsten Weisen hart an den Gränzen. Doch brauche ich dafür nur an
das zu erinnern, was über die gleichen Fälle in der bildenden Kunst
und in der Tonknnst gesagt worden. Hier kann fast die sämmtliche
Lyrik Schillers als Beispiel genannt werden.
Dasselbe gilt von den dichterischen Werken der Beschaulichkeit.
Wer könnte mis schöner mit den Worten der Weisheit erfreuen, als der
Dichter, dem Welt und Leben das Buch waren, das stets vor Seinen
Augen lag, der wie Niemand die Herzen und den Lauf der Dinge zn-
sammen erforscht hat. Der ältere Dichter wird sich darum hauptsäch-
lich zu dieser Poesie hingezogen fühlen. Giebt er die goldne Lehre in
goldnem Gefass, so ist das vortrefflich. Gedanke und Dichtung sind ja