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Die Dichtkunst.
Sieh, schöneren Doppellohn als Wein und Liebe,
Beut Dir die Erde fir Dein Streben nicht!
Drum ehre sie als Deine Erdengötter,
Und andern huldige daneben nicht!
Die Thoren, die bis zu dem Jenseits schmachten,
Sie lassen leben, doch sie leben nicht.
Der Mufti mag mit Höll' und Teufel drohen,
Die Weisen hören das und beben nicht.
Der Mufti glaubt, er wisse Alles besser,
Mirza-Schaffy glaubt das nun eben nicht.
(Bodenstedt: Mirza. Schaffy.)
Betrachtung, Zurückkommen auf den Ausgangssatz, den man nach
allen Theilen auseinanderlegt, ist durch diese Form angezeigt, oder
richtiger: ein derartiger betrachtender Inhalt hat sich diese Form ge-
geschaden, die somit nicht willkürlich verwendet werden kann.
Auf das leichte Spiel, welches im Ritornell (I. und 3. Vers reimt;
siehe bei Rückert und in Heyse's italienischen Liedern die Fülle dieser
Liedchen, welche zuweilen, wie bei uns die Schnadahüpü gebraucht wer-
den; namentlich die "reizenden Blumenverse), im Madrigal, Triolett u.
s. w. liegt, kann hier nur hingewiesen werden.
Was die sogenannte Gedankenlyrik betritft (siehe Melchior Meyr's
Gedichte: Vorrede), die namentlich durch Herder und Schiller Glanz er-
hielt, aber auch schon zu Schillers Zeit von W. v. Humboldt in der Be-
sprechung von Hermann und Dorothea ihre richtige Würdigung und
Widerlegung fand, so gilt das im allgemeinen Theil Gesagte. Da wo
die Vorstellung aufhört und der reine, nicht zur Anschauung gebrachte
Gedanke eintritt, hat die Poesie ein Ende und die in Verse gebrachte
Rhetorik beginnt. Oder vielmehr: die Poesie hat noch nicht ihren An-
fang genommen.
Eine solche poetisirende Rhetorik kann in ihrer Weise verdienst-
lich sein und wie schon oben auseinandergesetzt worden, eine trelfliche
Vermittlung für die Masse werden, welche die Ideen, die in der ab-
stracten Form ihr trocken, leblos erscheinen, an der Hand der Dichtung
gerne willkommen heisst, ist aber keine echte Poesie.
Es muss die Dichtung die grossen Ideen ihrer Zeit verarbeiten,
wenn sie sich auf der Höhe halten will und nicht in-den Augen der Ge-
bildeten zu einem Spiel für die Wallungen einer Knaben- und Jugend-
zeit herabsinken soll. Neuen, grossen Wahrheiten des Gedankens dich-
terische Verkörperung zu geben, gehört natürlich zum Schwierigsteu,
ja, so lange der Dichter und die Zeit mit dem Inhalt, seiner Wahrheit.
Schwierigkeit u. s. w. zu ringen haben, gehört eine völlige poetische
Bewältigung zu den Unmöglichkeiten. Nichtsdestoweniger ringen diese
Ideen nach Ausdruck. Vermag ein grossei- Dichter sie zu verkörpern.
dass man ihnen die Gedankenschwere und Abstraction nicht mehr an-
merkb so ist dies das Höchste, was er seiner Zeit bieten kann. Aber