Lyrik.
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schildern, sowie das Gefühl sich freier zu entfalten beginnt. Gefühl und
Form durchbrechen die epische Weise. S0 setzt z. B. der Grieche an
den Hexameter den Pentameter oder bildet Reihen gemischter Art im
Wechsel von Jamben, Spondeen, Dactylen, Anapästen u. s. w. So bildet
der Deutsche gemischtere Reimweisen. Der Kürenberger, einer unsrer
ältesten Lyriker, braucht z. B. für sein Liebeslied die einfache Weise
des Nibelungen-Verses. Ist doch auch der Inhalt noch episch gefasst
und nur der Schluss voll lyrisch.
Ich zog mir einen Falken länger denn ein Jahr:
da, ich ihn gezähmet, als ich ihn wollte hain
und ich ihm sein Gefieder mit Golde wohl bewand,
er hub sich auf viel hohe und flog in andere Land'.
Seit sah ich den Falken schöne fliegen:
er führte an seinem Fusse Seidene Riemen
und war ihm sein Gefieder allroth, Geldschein,
Gott sende sie zusammen, die Geliebte wollen gerne
sein.
Nehmen wir aus den schön bewegten, reichen Formen, welche bald
folgten, einen einfachen Vers Walthers von der Vogelweide:
Unter den Blumen an der Haide
Da unser zweier Bette was;
Da mögt ihr finden, wie wir beide
Blumen brachen und das Gras.
Vor dem Wald in einem Thal,
Tanderadei,
Schöne sang die Nachtigall.
Maassvolle Bewegtheit der Form entspricht der maassvollen Be-
wegtheit des Gemüthes. Auf dem Höhenpunkte der Lyrik ist Form und
Inhalt im schönen Gleichgewicht und überwiegt keine. Wenn das Ge-
müth die Freiheit der Art errungen hat, dass es der Willkür sich hin-
zugeben anfängt und mit seinen Empfindungen spielt, so erstreckt
sich auch dies Spiel auf die Formen. Diese werden noch ausgebildet,
wenn der Inhalt schon zu erstarren beginnt. Gewaltsamkeit des Ge-
fühls soll ihn dann emporschrauben, der reichen und überreichen Form
gerecht zu werden und dieselbe auszufüllen. Dann kommt die Epigonen-
lyrik, reich an Formen, klingend an Worten, übertrieben, Gefühl
haschend und erpressend. Dann kommen auch alle möglichen Form-
iibertreibungen und Spielereien. Unsinnige Dithyramben und unsinniges
Reimwesen stehn auf gleicher Stufe. Eine Spielerei Konrads von Würz-
burg, jedes Wort mit dem nächsten zu reimen, mag daran erinnern, dass
jedes Fgrmübgrmaags, so auch zu häutiger Reim schadet, indem durgh
den Klang die Dichtung musicalisoh zugedeckt wird und diese statt
schön klingklangmässig erscheint: