Volltext: Populäre Aesthetik

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Dichtkunst. 
Die 
als möglich zu veredeln, zur reinsten, herrlichsten Menschheit hinauf- 
zilläiltern, ist sein erstes und wichtigstes Geschäft, ehe er es unter- 
nehmen darf, die Vortretflichen zu rühren. Der höchste Werth seines 
Gedichtes kann kein anderer sein, als dass es der reine, vollendete Ab- 
druck einer interessanten Gemüthslage, eines interessanten vollendeten 
Geistes ist. Nur ein solcher Geist soll sich uns in Kunstwerken aus- 
prägen; er wird uns in seiner kleinsten Aeusserungkenntlieh sein, und 
umsonst wird, der es nicht ist, diesen wesentlichen Mangel durch Kunst 
zu verstecken suchen." 
Die Lyrik in ihren so verschiedenen, bald zum Epischen, bald zum 
Dramatischen neigenden, dann auch aus der Dichtung überhaupt heraus- 
weiseuden didactischen Arten zeigt die verschiedensten Formen. Im 
Allgemeinen kann man aber sagen: der Leidenschaftlichkeit des Ge- 
yfühls, worauf sie basirt ist, entspricht eine bewegte Form. Die Epik 
soll einen gleichmässigen Erzählungston haben, in demselben freilich 
die nöthige Freiheit, den Ereignissen durch Lebhaftigkeit, Kraft oder 
Langsamkeit u. s. w. Rechnung zu tragen. Aelmlich die dramatische 
Poesie; ähnlich auch die ididactische. Einfachheit, grössere Gleich- 
mässigkeit wird vorgezogen, um nicht von der Hauptsache abzulen- 
ken; Der Lyrik aber entspricht die Bewegung; sodann stimmt der 
Wechsel der Längen und Kürzen u. s. w. zum eigentlichen Gesang und 
zur Musik und deren Höhen- und Tiefen-, Stärke- und Schwäche- 
Wechsel der Töne. Der ruhigeren epischen Form entspricht das (sin- 
gende) Sagen, der einfachen dramatischen (jambischen) Form die 
Declamation, den zusammengesetzten lyrischen Bildungen der Gesang. 
Dort wo Vermischungen der Lyrik mit Epos, Dramatischem oder Di- 
dactik stattfinden, werden wir durchschnittlich einfachere Formen finden 
(Ballade, Volkslied, Wechselgespräch u. s. w.) als in der reinen Lyrik. 
Das lyrische Element hat sich allmälig vom Epos losgelöst; 
stellenweise mag es auch an das musicalische Jauchzen, Jodeln u. s. w. 
geknüpft haben. Es bedurfte einer langen Zeit und bedeutender Reife der 
Subjectivitat, bis diese die Aussenwelt so von sich zu lösen und als 
von sich abhängig zu betrachten wagte, um sich rein lyrisch aus- 
drücken zu können. So finden wir denn auch für Lyrik noch ge- 
raume Zeit epischen Ausdruck, episches Versmaass; für Todtenklage 
so gut, wie für die Hymnenverherrlichung, wie für Liebesgefühle. 
Das Wort vermag da noch nicht lyrisch das innere Seelenleben aus- 
zudrücken, sondern erzählend, in Thaten, Tugenden oder was es 
nun sei, wird die Wichtigkeit des Gefühls ausgesprochen. Der tie- 
feren Erregung dienen hülfreich musicalischer und mimischer Aus- 
druck: Jauchzen und Luftsprung und Tanz, Weinen und Stöhnen und 
Händeringen u. s. w. und daneben Musik: Flöte und Lyra, Fidel und 
(Titbiar oder welche Instrumente nun gebraucht werden. Allmälig über- 
nimmt aber der lyrische Ausdruck selbst es, die innere Bewegung zu
	        
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