Die Lyrik.
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Bedecke Deinen Himmel, Zeus,
Mit Wolkendunst,
Und übe, dem Knaben gleich,
Der Disteln köpft,
An Eichen Dich und Bergeshühn;
Musst mir meine Erde
Doch lassen stehn,
Und meine Hütte, die Du nicht gebaut,
Und meinen Heerd,
Um dessen Glnth
Du mich beneidest.
(GötheJ
Hier kannst Du nur im Allgemeinen, nie persönlich gegen ihn Dein
Urtheil fallen, sonst aber Dich zu ihm stellen, wie es Dir beliebt. Doch
sobald Du siehst, dass der Lyriker an Dich, den Hörer, denkt, dass er
Deine Empfindungen durch irgend welche Mittel und Finten treffen will,
dann sei auf der Hut. Lass nicht plump in Dich und Deine Regungen
greifen, so wenig Du es dem Dichter darfst. Es giebt nichts Trost-
loseres, als zu sehen, wie Lyriker mit ihren Empfindungen operiren in
bestimmten Absichten, wie sie die Seele des Hörers gleichsam zu ihrem
Stichblatt machen, darauf sie ihre Stösse nach Belieben aufsetzen
und verkreiden können.
Natürlich setzt sich jeder Dichter, der seine Gedichte dem Publicum
überreicht, der Kritik aus; auch die zartesten Regungen seines Innern
verfallen ihr, aber nur der ästhetischen Kritik, worauf hier durch das
Gesagte hingeiviesen worden ist. Da wo er absichtlich in Anderer Seele,
Ansichten u. s. w. eingreift, kommen natürlich auch andere Rücksichten
in Betracht; da z. B., wo er sein eigen Ich in einer Weise verdrängt,
dass man weniger die dichterische Triebkraft als die Eitelkeit des
Autors sieht, die ganz gewöhnlichen Maassnahmen des Lebens, durch
welche man dergleichen Hochmuth zurückweist.
Man sieht, welche Freiheiten der lyrische Dichter hat, aber auch,
welche Gefahr er leicht dabei läuft. Er wirkt durch die Subjectivität.
Ist sie nicht edel, ungewöhnlich kräftig und tief in ihren Empfindungen,
ist der Geist nicht umfassend und durchdringend, kurz fehlen ihr ausser-
gewöhnliche Eigenschaften, so fehlt überhaupt die lyrische Berechtigung,
Andere mit sich unterhalten zu wollen. Man lese darüber Schillers Kritik
über Bürger, aus welcher wir hier einige Sätze citiren: "Mit Recht ver-
langt er (der gebildete Mann) von dem Dichter, . dass er im Intellec-
tuellen und Sittlichen auf einer Stufe mit ihm stehe, weil er auch in
Stunden des Genusses nicht unter sich sinken will. Es ist also nicht
genug, Empfindung mit erhöhten Farben zu schildern, man muss auch
erhöht empfinden. Begeisterung allein ist nicht genug; man fordert die
Begeisterung eines gebildeten Geistes. Alles, was der Dichter uns geben
kann, ist seine Individualität. Diese muss es also werth sein, vor Welt
und Nachwelt ausgestellt zu werden. Diese seine Individualität so sehr