Lyrik.
Die
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tigcn Aussicht zur andern; unterwegs soll er uns nicht die Stufen vor-
zählen. Gleichsam in sich abgerissene, wie zusammenhangslos er-
scheinende Gedichte, welche in diese Art gehören, entzücken uns
darum; sind sie wahr, so sind sie trotz anscheinender Zusammenhangs-_
losigkeit doch einheitlich und ganz; nur dass wir die Mitdichter sind,
welche diese Einheit herstellen, wobei wir selbst dichterische Freude
empfinden; wir eilen vom Gedanken zum Gedanken; ihre Wahrheit
lasst uns nicht irregehen; sicher, gehoben, selbstthätig kommen wir
beim nächsten an; wie im Fluge geht es weiter; wir fühlen kaum die
Erde unter unseren Füssen. Aber wenn uns ein Lyriker so auf der
Landstrasse der Gefühle Schritt vor Schritt dahin schleppt, wozu
brauchen wir einen solchen Führer! Fort mit ihm! Sind wir denn
stumpf? sind wir blind? Haben wir nicht selber Herz und Nieren?
Was soll uns dieser Pedant! diese Droschkenklcpperei der Empfin-
dungen!
Aus demselben Grunde hat der Lyriker, der von sich spricht, sich
sehr in Acht zu nehmen, dass er mit diesem Ich nicht aufdringlich wird.
Der Lyriker wird uns nicht bloss leicht in Langweile bringen, wenn er
ungeschickt ist, sondern er kommt auch leicht in die Gefahr, uns zu
beleidigen. Die Arroganz und der blinde Egoismus stehen ebenso gerne
hinter dem Von-sich-reden, wie Kindlichkeit und auch wohl die Albern-
heit, welche von sich Sachen auskramt, weil sie nichts besseres weiss.
Die Arroganz aber wie breit macht sie sich zu Zeiten in der Lyrik!
verletzt wenigstens die Verständigen. Die Masse freilich lässt- sich
wohl dadurch imponiren und in der fadesten Weise hänseln oder miss-
handeln. Kindlichkeit ist angenehm, aber Egoismus verdient den tüch-
tigen Gegensatz unseres Ichs, um ihm heimzuleuchten, und Albernheit soll
man sich nicht aufnöthigen lassen. Ein guter Erzähler braucht hauptsäch-
lich interessanten Stoff, dann klaren Blick und schöne Sprache. Ein
guter Lyriker aber muss vor allen Dingen selbst eine interessante Per-
sönlichkeit sein; seine seelischen Fähigkeiten, sein Herz, sein Geist,
das kommt hauptsächlich in Betracht. Es versteht sich, dass er da,
Weder von einem pedantischen Philister, noch von einem beschränkten
Katechismuslehrer, weder von einer ängstlichen Grossinutter, noch von
einem Institutmädchen seine Beurtheilung zu empfangen hat. In vielen
Fällen kommt freilich der Lyriker überhaupt nicht unter eine directe
Beurtheilung. Die rein subjective Lyrik redet zu keinem Hörer, wie
die Epik; sie sagt nicht Anderen, nur sich selbst; sie singt ihr Leid,
ihre Freude. Ob es Andere hören, sie kann nichts dafür; sich selbst
nur auszusprechen, in Worte zu fassen, was das Herz bewegt, das ist
ja der einzige Zweck.
Meine Bub ist hin, mein Herz ist schwer,
Ich finde S10 mmmer und nimmerrnehr.