Die
Lyrik.
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Scott ist darin oft Muster. Der Roman wird dadurch an die Wirklich-
keit geknüpft und verliert das Schemenhafte, das ihm sonst leicht anklebt
und gegen die Prosa disharmonisch absticht.
Auf alle einzelnen Arten der Erzählung ist hier nicht einzugehen,
auf Anecdote, Schwank, gewöhnliche Erzählung u. s. w. Nur noch der
Novelle sei hier gedacht. Sie entstand in Italien im Gegensatz zu den
Erzählungen der Heldengeschichten und deren ausführlicher epischer
Behandlung. Die Novelle ist die Erzählung eines, ursprünglich
in der naheliegenden Vergangenheit Geschehenen, die alles Beschrei-
ben, alle Einzelschilderung der umgebenden Natur, der Menschen u. s. w.
ausschliesst, welche der breitere, umfassende Roman gestattet. Die
Novelle giebt eine einzelne Geschichte in einfacher Weise, der Roman
die Einheit in einer Reihe von Handlungen. (Goethe's Wahlverwand-
schaften stehen zwischen Novelle und Roman; die Geschichte der un-
glücklichen Liebe der beiden Paare ist romanhaft breit ausgedehnt; die
Beschränkung der Dichtung auf dieses Liebeereigniss engt wieder die
Geschichte als Roman ein und macht sie zur Novelle.) Die wahre No-
velle giebt wegen der Anforderung des stetigen Flusses, der Klarheit
und Einfachheit der Erzählung ein treifliches Probestück für einen guten
Erzähler ab.
III.
Die Lyrik.
In der epischen Dichtung erzählte uns der Dichter von der Aussen-
welt, er selbst trat zurück. Er gab seine Anschauungen; die Begeben-
heiten und Dinge waren die Hauptsache; er war nur der Mund, der ge-
treu und schön zu erzählen hatte. In der Lyrik dagegen tritt seine
Persönlichkeit, seine Innerlichkeit voran; hier setzt er vor Allem seine
eigenen Gefühle. Wenn es sich um Dinge der Aussenwelt handelt, dann
ist es nicht die objective Beurtheilung, sondern seine besondere, subjec-
tive Auffassung, worauf es ankommt.
In der Lyrik hat das Menschen-Ich sich selbst gefunden: anfangs
sich selber freilich nicht begreifend, singt und sagt es seine Gefühle, die
sich kaum den allgemeinen unbegriHenen Zuständen , wie sie in den
Tönen sich ausdrücken, zu entringen vermögen. Es ist halb Ton, halb
Sprache. Aber mehr und mehr, klarer und klarer erfasst es sich. Dm-
traumartige Zustand ist nicht Bedingniss in der Lyrik. Der Menschen-
geist erkennt sich, und der Welt stellt er sich gegenüber. Es ist das
Ich der Lyrik, was im Bewusstsein seiner Eigenart die Welt einsaugt
und ausstrahlt, es ist der Geist, der die Welt von sich aus umfasst, die
Seele, drin sie sich spiegelt. Vom gleichsam unbewussten Stammeln der