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Dichtkunst.
Die
sündigen hiegegen nur zu oft. Eine Salongeschichte, in welche das
arbeitende Leben höchstens als Bedienter hereintritt, ist fad und er-
scheint entsetzlich unwahr. Alle solche einseitige Behandlungen haben
überdies die Neigung zu beschreiben, didactisch zu werden. Da nun
das allgemeine Leben dem Roman ein nothwendiger Hintergrund ist,
das allgemeine Leben aber durchaus realistisch ist, so ist, um keinen
Zwiespalt hereinzubringen, dem Roman eine realistischere Behand-
lung mehr angemessen als die Steigerung in's Idealistische. Man könnte
auch hier wiederholen: dem Ideale völlige Idealbildung auch in der
Form. Der realen Form der Prosa entspricht nur realerer Inhalt, natür-
lich durch die Kunst stets dem Ideal zugewendet.
Der humoristische, der komische, satirische Roman u. s. w. erklären
sich aus dem Gesagten.
Der Lehrroman, der Tendenzroman sind Abarten, Mischarten,
welche namentlich denjenigen Klassen der Gesellschaft zusagen, Welche
der dichterischen Anschaulichkeit zur Lehre noch bedürfen, um sich
nicht zu langweilen und unvermerkt belehrt zu werden.
Wenige Worte über die Stellung des Romans zur Geschichte und
zu geschichtlichen Grössen. Der Roman verlangt als Dichtung die
grösstmögliche Freiheit. Die Prosa lässt ihn an die Wirklichkeit
knüpfen und die Wahrscheinlichkeit derselben erstreben. Dadurch ent-
steht nun zwischen Wahrheit der Geschichte und Roman weit leichter
ein Contlict, als z. B. zwischen Geschichte und Drama. Die Ver-
mischung von Wahrheit und Fiction verletzt im Roman weit eher: die
Gebiete liegen sich zu nahe; das eine wird zu leicht für das andere ge-
nommen. Daher ist davon abzurathen, eine bedeutende, durch die Ge-
schichte bekannte Person zum Helden zu machen, weil der Dichter zu
sehr gebunden ist durch die Wahrheit, um frei dem Schönen nachstreben
zu können, da jede Fiction, jedes Zudichten und Erdichten der Wahr-
heit Schaden thut. (äeschichtlich benannte Helden eignen sich deshalb
besser zur Roman- Geschichte als zu Geschichtsromanen. (Alexander's
des Grossen Leben; Cyropädie; Leben Friedrichs des Grossen, Leben
Napoleon's für das Volk: Kugler hat für seine Geschichte Friedriclfs
des Grossen einen guten Ton getroffen; Thiers in seiner Geschichte des
Kaiserreiehs versteht sehr gut zu dichten. Ihm ist der Effect durchaus
nicht der Wahrheit absolut nachstehend, Wie sehr er auch auf die Un-
partheilichkeit der Geschichte pocht; er hat eben so viel den dichterischen
als den wissenschaftlichen Zweck vor Augen; die Gloire des franzö-
sischen Volkes ist die leitende Idee und soll sein Werk für die Fran-
zosen eine grosse Epopöe sein. Die deutschen Leser des Werkes von
Thiers sollen dies nicht vergessen.) Dagegen kann der Dichter trefflich
bedeutende geschichtliche Ereignisse als Hintergrund und an geeigneten
Stellen auch zur Belebung, zum höheren Eindruck des Scheines der
Wahrheit geschichtlich bekannte Persönlichkeiten benutzen. Walter