Volltext: Populäre Aesthetik

Epos. 
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Kraft, das sichere Ziel und Wilhelm bleibt im Allgemeinen Stecken. 
Man kann wegen dieses Wechsels und der, auch aus der Anlage und Art 
des Stoffes in Bezug auf die damalige Zeit her-vorgehenden Behandlung 
des WKYiIIieIm Meisters diesen Göthdschen Roman nicht musterhaft 
nennen. Er ist aber in seinen Schwachen nur zu oft Muster geworden; 
wie der Bildhauer sich wohl verhaut und dann den Schaden nicht mehr 
gut machen kann, sondern so gut es geht sich behelfen muss  ähnlich 
war es Göthe ergangen, dem beim Beginn das Ende seines Romans noch 
nicht deutlich vor der Seele stand. So wenig man eine unnatürliche 
aus dem Verhauen hervorgegangene Stellung plastisch nachzuahmen 
hat, so wenig solche Compositionsfehler des Dichters. 
Die Wahl des Stoffes für den Roman ist eine unbeschränkte inner- 
halb der genannten Forderungen. Die Gegenwart oder die Vergangen- 
heit. ein engeres oder weiteres Bild kann gewählt werden. Das Leben 
der höheren, mittleren oder niederen Stande bietet sich dar. Im Allge- 
meinen wird, wo das Niedere im ästhetischen Sinne zur Geltung kommt. 
die humoristische oder komische Behandlung sich vernothwendigen. 
wenn nicht das ästhetische Wohlgefallen aufhören soll; der Schelmen-, 
Gaunerroman u. s. w. lieben komische, der Alltagsroman mit dem Ueber- 
maass nicht-idealer Zustände die humoristische Behandlung im engeren 
Sinne. Das Alltägliche in idealer Auffassung hat der Idylle zu ent- 
sprechen. Salonroman, Familienroman u. s. w. sind nur besondere 
Stufen; der gute, umfassende Roman schränkt sich nicht auf eine 
Klasse ein, sondern sucht das ganze Leben nach Hoch und Niedrig, 
Arm und Reich, Glück und Unglück zu umfassen, immer freilich mit 
Rücksicht auf die harmonische Einheit und die Harmonie der Theile. 
Mit crassem Wechsel ist nichts gethan. Die Dorfgeschichte unserer 
Zeit ist ein extremes Gegenstück gegen den Salonroman und einseitig, 
wie dieser, falls sie nicht als Idylle behandelt und als solche von der 
harmonischen Schönheit getragen wird; das gilt überhaupt vom aus- 
sehliesslichen Ständeroman, Theater-, Künstler- (Malen, Musiker u. s.  
Soldatenroman u. s. w. Natürlich muss irgendwo das Hauptgewicht 
liegen; die Lebensstellung des Helden bedingt schon, dass wir haupt- 
sächlich einen Künstler, Krieger, Gelehrten u. s. w. und das ent- 
sprechende Leben gezeichnet finden, aber das Lebensbild darf nicht aus 
dem ganzen Leben herausgelöst werden. Eine nicht zu überwindende 
Oede und der Eindruck des Unwahren ist sonst Folge, grade wie im 
wirklichen Leben selbst. Jene Stoffe sind deshalb vorzuziehen, welche 
an sich die Darstellung mannigfaltiger Lebenszustande ermöglichen und 
sowohl die höheren geistigen, wie die niederen Kräfte des Menschen 
zeigen. Man denke einen Seeroman, bei dem nur Matrosen handelten! 
E1- wäre so schlimm, als ein Seeroman, in welchem nur Admirale oder 
Oapitaine und kein Bootsmann, kein gewöhnlicher Bruder Theer spiel- 
ten. Die Dorfgesehichte, der Künstlerroman, der Salonroman u. s. w.
	        
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