Epos.
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Sie nicht das Haar und ordnet mit den Händen
Die reizende Verwirrung hie und dort.
Dann, um den Reiz des Ganzen zu vollenden,
Verstreut sie Blumen, jed' an ihren Ort,
Paart mit des Busens eigner Lilienfiille
Die fremde Ros' und ordnet dann die Hülle.
(Aus Tasso. Nach J.
Gries.)
Ueber Milton hinweg nenne ich das Werk, welches die neueste
grosse Epoche unserer deutschen Literatur einleitete, Klopstocläs Messias.
Der Stoff war gross, ganz allgemein bekannt; der Griff in so weit für
ein Epos der glücklichste. Ariost, Tasso z. B. hatten nur für Schichten,
der Gesellschaft singen können. Klopstock wandte sich durch den In-
halt an das ganze Volk. Aber religiöse Stoffe sind in so weit leicht für
das Epos gefährlich, als religiöse Innigkeit subjectiver Art darin eine
drohende Klippe ist. Wer. den breiten epischen Strom verlässt und
sich auf diese Altwasser und Binnenteiehe der Subjectivität und Lyrik
begiebt, kommt nicht leicht und ohne aufzusitzen an's Ziel. Der Umkreis
der Dichtung von der Kreuzigung und Verklärung des Messias begreift
keine besondere Vielheit oder Mannigfaltigkeit, wie sie für ein grosses
Gedicht nothwendig ist, das an Umfang mit den grossen Epen des Alter-
thums wetteifern soll. Der Dicl1te1', welcher sich nicht bescheidet und
den Umfang demllnhalt anpasst, muss dehnen und strecken und füllen.
Auf Erden ist nicht viel zu melden; die Passivität der Jünger, unter
welchen des hitzigen Petrus einziger Hieb auf den Knecht doch wenig
oder nichts besagt, ist lähmend; nicht einmal ihre Charakteristik ist
recht ausgebildet; so greift der Dichter Homer vor Augen in den
Himmel und schafft sich eine überirdische Welt. Aber hier verliert er
den Zusammenhang mit dem Volksbewusstsein; er erdichtct subjectiv
eine Reihe Gestalten, die er mit der höchsten Wichtigkeit ausstattet; er
tritt aber dadurch aus dem episch sicheren Gebiet in die subjective
Phantastik hinüber. Er fühlte den Mangel an Handlung, des zur Er-
zählung Passenden mehr und mehr nach dem bewegten Anfang. Die
Gefühlshöhe, die Inbrunst, zu welcher der Stoff Veranlassung gab, sollte
aushelfen; lyrische Leidenschaft verwechselte der Dichter mit epischer
Bewegtheit. Einmal in diesen ästhetischen Fehler gefallen, ging er
darin weiter und weiter, von Gesang zu Gesang ihn steigernd. Er sah
im religiösen Gefühlsausdruck den Höhepunkt und er schrob sich immer
mehr zur Schwärmerei und Verzückung. Aber Verzückung, Heber-
sinnliches, Unaussprechliches, wo der Dichter nur zu "stammeln" Ver-
mag, ist den Thaten und Gestaltungen des Epos nicht förderlich, sondern
läuft. ihnen entgegen.
Auf die Grösse und Bedeutung der Messiade ist hier nicht näher
einzugehen. Man soll sie wieder mehr lesen, namentlich unsere jungen
Dichter; die Messiade hob ihrer Zeit die Poesie mit einem Rucke aus