Volltext: Populäre Aesthetik

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Dichtkunst. 
Die 
Manches bleibt unklar; Vieles schwach; wenn wir nicht an manchen 
Stellen Anderer Flickwerk anzunehmen haben. Im zweiten Theil, wo 
jene Schwierigkeit nicht vorlag, ist Alles mehr aus einem Guss. 
Das Ganze ist, gegen Homer betrachtethstarrer, spröder; viel Ge- 
stauchtes derAlliterationsdichtung hat sich doch übertragen. Der Stand- 
punkt ist nicht der schöne, menschlich freie, wie er auch in der Ilias 
waltet, sondern das specifisch germanisch Reckenhafte. Im Allgemeinen 
kann keine Rede davon sein, Nibelungen oder Gudrun der Iliade oder 
Odyssee als etwas Ebenbürtiges an die Seite zu rücken. In vielen Hin- 
sichten aber haben die Nibelungen auch unübcrtretifliche Schönheiten. 
Anlage, Durchführung der ungeheuren dramatischen Dichtung des deut- 
schen Uebermuthes, Gharacterisirung einiger Figuren ist gewaltig. Ein 
Siegfried steht auch in seiner Art einem Achilleus weit nach. Hagen 
von Tronje dagegen ist jeder Gestalt, welche je ein Dichter geschaffen 
hat, an Gewalt und Kühnheit ebenbürtig. Es giebt keine Schöpfung, 
die den furchtbaren Mann überträfe von dem Augenblick an, wo er an 
der Donau von den Schwanenjnngfrauen das Schicksal der Burgunden 
erfahren. Die Zeichnung einzelner Helden und Scenen ist grossartig. 
Der Aufbau ist_ von Einzelnem abgesehen, trefflich. Die Schuld geht 
durch das ganze Gedicht; ihr Anfang in demselben allerdings nur noch 
dunkel bewahrt, da die Erinnerung an die Gewinnung des Hortes, des 
Blutgeldes verwischt war. Siegfried trägt durch den Kampfhohn bei 
seinem Erscheinen gegen die Burgunden Schuld, dass Hagen und Ortwin 
ihm sogleich feind werden. Schuld liegt vor gegen Brunhild. Brunhild 
reisst das Verderben über sich, weil sie in ihrem Groll nicht Ruhe findet. 
Chriemhilds übermüthiges Glück beginnt den Zwist. Nun werden die 
Könige und Hagen schuldig hineingerissen. Aus dem Mord Siegfrieöfs 
wachst neues Unrecht gegen Ohriemhild. Diese hegt den Groll weiter; 
als Ezels Gemahlin giebt sie ihm Ausdruck. Der Uebermuth Hagen's 
und V0lker's schürt das Feuer, reisst Ezel, reisst Dietrich von Bern 
wider Willen mit, und Alles in den Strudel hinein und zum furchtbaren 
Ende, draus nur Ezel, Dieterich und Hildebrant übrig bleiben. 
Leider hatte schon die Zeit, in welcher die Nibelungenlieder so 
gedichtet wurden, wie sie uns vorliegen, einen so starkhöiischen Bei- 
geschmack, dass der Dichter sich demselben nicht hat entziehen können. 
(Schleppend sind die Stellen, wo vom Prunk, von Aufzügen u. s. w. die 
Rede ist, sodann, wo die Milde und Freigebigkeit gepriesen wird u. a.) 
Die allgemeinen Formen des Ritterthums, die herrschenden Sitten der 
höheren Stande sind oft nicht gut mit dem Reckenhaften verschmolzen. 
Dem Dichter fehlt die rechte Erzahlungskraft dafür, wie auch häufig 
für die Wiedergabe eines allgemeinen Bildes; er weiss den Hintergrund 
seines Gemäldes noch nicht recht zu behandeln, die Personen nicht 
immeuloszulösen und zu modelliren. Statt uns die Menschen zu zeigen 
 elmge Mal weiss auch er trefflich durch Andere zu zeichnen  hilft
	        
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