Volltext: Populäre Aesthetik

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Die Dichtkunst. 
sich den Nebenbuhler in der Gunst der schlauen Griechen, den listigen 
Udysseus entgehen lassen, den alten gesprächigen, prächtigen Nestor, 
den grossen, wackeren, vortrefflichen Ajas, Idomeneus und Teukros 
und den Helden der Helden Diomedes und wie alle die Fürsten und 
Vorkämpfer heissen? Er braucht als Epiker keine Einheit wie der 
Tragiker, der schon durch die Vorführung der Personen zur Beschrän- 
kung gezwungen ist und der sich. hüten muss, seine Helden uns zu viel 
in persönlicher Kraftentfaltung, in Atlsführtlng gewaltiger Thaten zu 
zeigen, da wir beim Anblick der wirklich vorgeführten Person einen 
ganz andern Maassstab anlegen, als wo nur die schrankenlose Phantasie 
in's Spiel kommt. So führt er uns das ganze Heer der Griechen mit all, 
den Heldengest-alten vor, so die 'I'rojer und die feindlichen Völker mit 
ihren Aeneas, Paris, Deiphobos, Sarpedon, Glaukos, mit Priamus und 
Gattin und Töchtern und Helena und mit dem ewig bewundernswerth 
geschilderten Hauptfeind der Griechen, mit Hector, Priamusf Sohn, und 
seiner Gattin und seinem Söhnlein. Aber Menschen, wie übermenschlich 
sie sich in der Schlacht und in der Rache zeigen, sind ihm nicht genug. 
Der Himmel wird geöffnet und das Meer erschliesst seine Tiefen. Die 
Götter werden sichtbar; sie thronen auf dem Olympos in ihrer Ilerrlich- 
keit; sie schauen vom Ida; sie schweben durch den Aether, sie steigen 
herauf aus den Wellen mit ihrem Gefolge; sie schmieden in den feurigen 
Werkstätten, sie zeigen sich in den Strömen; sie kommen auch zum 
Kampf    Ares stürzt in Mord und Getümmel, Pallas Athene und 
Apollon und die Götterkönigin selber mischen sich unter die Kämpfer, 
Poseidon erschüttert das Meer und die Veste, Feuer haucht Hephästos, 
und die Stromgötter wüthen auf und umbrüllen, in Blut und Leichen 
wogend, zornwüthige Menschen. Und Götter und Menschen rasen an 
gegen Götter und Menschen: den Bogen um die Ohren geschlagen wird 
Kypris weinend heimgeschickt zum Olympos, und Tydeus Sohn, Diome- 
des, „Du meiner Seele Geliebter" der Pallas Athene, trifft den Ares, 
dass er flüchtend dahinsaust, wie der Wolken umnachtetes Dunkel des 
brausenden Orkanes, und als in der Götterschlacht der Mordselige und 
Pallas Athene die Kluge sich begegnen, schmettert jenen der Grenz- 
stein hin, geschleudert von der Rechten der Göttin, dass er über sieben 
Hufen niederstürzt, dieselben mit seinem Leibe bedeckend. Aber droben 
auf dem Olympos sitzt der lächelnde Vater der Götter und Menschen 
und schaut hinab auf das Treiben; doch wenn die ambrosischen Locken 
ihm vorwärts sinken und wenn er die Augenbrauen faltet, dann bebt der 
hohe Olympos. 
Man sehe die vortreffliche epische Composition. Der Grösse der 
Dichtung und auch schon dem Vortrag gemäss, muss ein solches Epos 
sich gliedern in Theile, welche sowohl der Kraft der Stimme des Vor- 
tragenden als der Kraft des Hörers, mit der Phantasie nicht zu erlahmen, 
entsprechen. In den Zeiten, wo alles Sagen voller Gesang war, wie in
	        
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