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Dichtkunst.
Die
allen Bauten Säulen znsammensuchte und diese wohl oder übel, 0b zu
lang oder zu kurz, verwandte, indem man sich durch Anflicken und
Untersetzen half, sich um die Gleichmässigkeit nicht kümmernd. Man
wusste hehre, grosse Dome zu entwerfen und sie in vortretflicher
Weise auszuführen eine solche Zeit weiss auch ein Epos zu behan-
deln; kein rohes Aneinandersetzen einzelner Stücke, überall dürftig
und augenfällig zusammengeklammert, sondern Dichtkunst waltet, Ver-
arbeiten des Einzelnen zum Ganzen, Unterordnen unter festen Plan, ein
stetiges, kundiges Ausführen, Berücksichtigung der Forderungen des
Schönen und zwar in mancher Hinsicht in einer Richtigkeit, dass solche
Zeit musterhaft für uns bleibt.
Homer, der Nibelungendichter, Firdusi schufen in dieser Weise.
Es handelt sich hier nicht darum, wie viel der Dichter oder die Dichter
von Ilias oder Odyssee, der oder die beiden Dichter von den Nibelungen
vorfanden den berühmten Streit über diesen Punkt können wir hier
xiatiirlich nicht mittheilen es handelt sich nur darum, dass eine Ilias,
eine Odyssee, die Nibelungen künstlerisch zusammengedichtet, nicht
bloss aus vorhandenen Stücken zusammengestellt wurden. Der Stoff
wurde allerdings nicht erfunden, die Form bei den Griechen gleich-
falls nicht (bei den Nibelungen könnte die Nibelungenstrophe neu
sein oder ist sie neu; die alte Sage war alliterirend behandelt; man
sollte auch das lateinische Waltari-Lied nicht in den Nibelungenvers,
sondern in die Alliteration zurücküberset-zen), die Epen wurden nicht
erdacht, diese Entstehung des Volksepos uns erklärt zu haben, ist das
ungeheure Verdienst der betreffenden Forscher (Wolf, Lachmann u.
aber die Dichter jener letztgenannten Epen darf man nicht zu blossen
Redacteuren machen. Wenigstens waren ihre Redacteure dann gewaltige
Dichter. Wir haben freilich Epen, bei welchen man schlechtere Zu-
sammendichtcr, Zusammenstoppler gewahrt, in denen Wenig oder keine
Kunst waltet. In Jenen aber ist grosse Kunst, so gut wie sie die Bau-
meister der entsprechenden Zeiten besassen. (Im Einzelnen kann Manches
allerdings als eingeschoben, ziemlich rücksichtslos benutzt sich zeigen,
wie dies überall in naiver Zeit vorkommt; Manches kann auch von An-
deren so gut eingetlickt sein, wie dies bei einem Bau gleichfalls ge-
schieht). Die dazu uöthige Kunsthöhe wird nun aber nur gewonnen
durch längere Uebung, längere Kunst. Wir haben für die Dichtung
solcher Epen, wie Wackernagel besonders darthut, so gut wie für die
Architectur eine Schule, eine Dichterschulc anzunehmen. Ein Homer
fassen wir ihn als einzelnen Dichter hatte viele Sänger vor sich.
Schon die Uebertragnng durch das Wort, durch das Gedächtniss erfor-
derte für den Dichter, der Singen und Sagen zum Beruf machte, Lehrzeit
und Wanderzeit, um zu lernen bei Kündigen und Meistern. Der
kundige Meister und Finder neuer Töne und neuer Mähren hatte, falls
er dazu geneigt war, bald eine Reihe Schüler.