Volltext: Populäre Aesthetik

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Die Dichtk unst. 
sagen, dass er vortrefflich erzählen könne, nicht, dass er ein vortreff- 
licher oder kluger oder gutmüthiger Mensch sei. Er ist nur Mund der 
Begebenheit. 
Wo der Erzähler von sich selbst zu berichten hat, weil er in der 
Geschichte eine betheiligte, mitspielende Person ist, tritt natürlich ein 
anderes Moment ein. Aber auch hier verlangen wir, erstens Beschei- 
denheit überhaupt, dann, dass er in der Erzählung bleibe und uns nicht 
mit den Sachen hinhalte, welche nicht dazu gehören. Er hat sich hier 
wie jeden Andern zu behandeln, nur dass er die innern Erwägungen 
natürlicher Weise deutlicher uns vorführen und ein recht lebendiges 
anschauliches Bild geben kann. Aber der Dichter weiss ja Alles so ge- 
nau, wie er sich selbst kennt, und so ist in dieser Hinsicht gar kein 
Unterschied. 
Da wo wir nicht selbst betheiligt sind, werden wir mit der Parthei- 
lichkeit des Erzählers schlecht zufrieden sein. Wir verlangen von ihm 
Unpartheilichkeit. Ist unser Volk, unser Geschlecht, überhaupt unsere 
eigene Partheilichkeit im Spiele, so werden wir die seinige, mit uns 
übereinstimmende freilich mit Freuden aufnehmen. 
Erzählt nun iudieser Weise ein Dichter eine uns interessirende, 
spannende Begebenheit in richtiger klarer Uebersichtlichkeit, in trefll 
licher Bestimmtheit, schöner Sprache u. s. w., so werden wir seine auf- 
merksamen, freudigen Zuhörer sein; Dass er ganz in den Sachen lebt 
und webt, dass er Alles wissen muss, das versteht sich von selbst! 
Hoch, 0 Dcmodokos, preist Dich mein Herz vor den Sterblichen allen! 
Dich hat die Muse gelehrt, Zeus Tochter sie oder Apollonl 
So genau nach der Ordnung besingst Du der Danaer Schicksal, 
Was sie gethan und erduldet- im lang abmüdenclen Feldzug, 
Gleich als ob du selber dabei warst; oder es hörtest. 
(Odyssee) 
In den ältesten Zeiten herrscht die Art der Erzählung, welche wir 
oben charakterisirten. Geschehenes wird erzählt, gesagt. Die An- 
schauung wiegt durchaus vor; der Inhalt ist also an sich dichterisch. 
Die Ueberlieferung ist die lebendige von Mund zu Mund durch das ge- 
sprochene Wort, das im Gedächtniss bewahrt, dann weiter gesagt wird. 
Für das Gedächtniss fand man bald eine Stütze in der Ordnung der 
Worte, wodurch die Ueberlieferung gesicherter wurde. Der angeborene 
Ordnnngs- und Schönheitssinn und der Nutzen trafen zusammen. Eine 
eigenthümliche Form, ein Maass wird gebildet, nach Messung, nach Be: 
tonung, oder was nun dem Volksgeiste und der Sprache das Ange- 
messenste ist. So geschieht jede Ueberlieferung der frühesten Zeit durch 
Dichtung in Versen. Sie ist durch Anschaulichkeit der Phantasie, durch 
die bestimmte Form dem Gedächtniss in bestmöglicher Weise gesichert; 
sie ist durch Versform gefestigt, kann schwerer geändert werden, lässt 
sich besser behalten, weil Versmaass, Anlaut, Auslaut u. s. w. Anhalte
	        
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