Epos.
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gewaltig, schön, weinerlich u. s. w., aber stets naiv. Nehmen wir an,
ein grosser Dichter wandelt auf diesen Wegen, den richtigen. Das
höchste Kunstepos wird mit der einfachsten Erzählung in den Haupt-
punkten zusammentreffen. Nur die bessere, feinere Motivirung bleibt
dem Dichter übrig. Neben diesem reinen Epos wird dann ein künst-
licheres, subjectiveres stehen. Ueber beide werden wir zu handeln
haben.
Der Dichter will eine erzählende Dichtung geben. Vor allen Din-
gen gehört ein interessanter Stoff dazu, uns zu befriedigen, dann, wie
sich von selbst versteht und wie beim Dichter vorausgesetzt wird, eine
schöne, entsprechende Form. Zum Erzählen gehören Thatsachen, Be-
gebenheiten. Diese müssen der Art sein, dass wir uns über dieselben,
ihren innern Zusammenhang u. s. w. selbst klar werden können, ohne
dass der Dichter aus der Rolle des Erzählers fällt und nun mit seiner
eigenen erklärenden Weisheit dazwischen zu treten braucht, um uns zu
belehren. Wo dieses nöthig ist, ist eine Geschichte nicht so spannend,
nicht so angenehm, behandelt einen schlechten Stoff oder ist schlecht"
erzählt. Der Verlauf der Erzählung muss ein derartiger sein, dass wir
alle Veranlassungen, Gründe, den Zusammenhang aus der Geschichte
selbst deutlich erkennen. Erklärungen des Erzählers sind der Gefahr
ausgesetzt, dass sie uns langweilen oder ärgern, indem wir vielleicht
glauben, den inneren Zusammenhang der Dinge, den ja Niemand mit
Augen sehen oder mit Händen greifen kann, besser als er zu verstehen.
Da aber, wo derselbe in der Begebenheit selbst deutlich wird, z. B.
durch die ausgesprochenen Absichten der Handelnden, hat er natürlich
getreulich zu referiren. So hat er uns die Reden der Betheiligten zu
berichten, insoweit sie dafür nöthig oder wichtig sind. Sonst erlauben
wir ihm nur hie und da, und nicht immer gern, einen Wink, wie die
Sache denn doch schliesslich gekommen. Steht er auf unserem Stand-
punkte, interessirt ihn gerade besonders, was uns interessirt, ÖSSÜO
besser. Aber belehren, uns in die Schule nehmen wollen, darf er nicht.
Dazu sind wir nicht da. Wir wollen erzählen hören, uns daran freuen
oder doch überhaupt ästhetisch erregt werden. Lernen wir dabei, so ist
das vortrefflich, aber Lehrhaftigkeit der Absicht, Lehrhaftigkeit in der
Ausführung ist natürlich an sich mit wahrer Dichtung schwer verträg-
lich. Es gehört viel Kunst dazu, sie zu verstecken.
S0 soll der Dichter sich also nicht mit seiner Persönlichkeit vor-
drängen, sondern dieselbe zurücktreten lassen. Denn es handelt sich
nicht um ihn, sondern um die Geschichte, welche er berichtet. Dass er
dieselbe richtig erzählt, setzen wir voraus; dass er sie gut erzählt, ist
sein Verdienst. Zum guten Erzählen gehört Ruhe; weder Ueberstürzen,
Hast und zu grosse Kürze, noch Kälte, Weitschweiligkeit und Ab-
springen vom Gegenstand. Den Dichter selbst aber wollen wir in
einem solchen Fall nicht haben. Sein Lob ist, wenn wir hinterher