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Die Dichtkunst.
führen, uns in die damit zusammenhängenden Streitigkeiten einzulassen.
Bekanntlich wird der Reim von Vielen als "mittelalterlich, gothiseh"
verworfen.
Der Reim bindet musikalisch. Und zwar muss er, um rechte Kraft
zu gewinnen, namentlich in der deutschen, in den Endungen so klang-
losen Sprache, das ganze Wort oder doch dessen Hauptsilbe umfassen
und so einem anderen Worte gleiehlauten.
Wir finden nun nach dem Verschwinden des alliterirenden epischen
Verses als deutschen epischen Vers eine Reihe von sechs Hebungen,
ähnlich also dem Hexameter und Trimeter. Diese Reihe wird mit einer
zweiten durch einen Reim verbunden. Es sei hier gleich bemerkt, dass
man einen solchen Zweivers mit einem andern Zweivers zu einer Strophe
vereinte; wahrscheinlich erst in einer späteren, mehr lyrischen Zeit
wurde sie meistens durch eine Verlängerung des letzten Halbverses um
eine Hebung als abgeschlossen hingestellt, und dadurch der epische
Gesang schärfer nach Strophen gegliedert.
Der Hexameter bekam zum grossen Theil seine Lebendigkeit durch
die Freiheit, statt der beiden Kürzen des Dactylus eine Lange zu setzen.
Unsere Dichter wussten in anderer Art Aehnliches zu erreichen. Es
zählten nur die Hebungen: 4; 1 im letzten Verse der Strophe
häufig 4;; l Ihnen aber können unbetontere Silben voran-
gehen oder können zwischen sie treten. Meistens entstehen daraus
unserer Wortbildung gemass jambisehe Formen, doch werden die Bei-
spiele zeigen, wie anapästisch oder dactylisch klingende oder andere
Metren eintreten. Grosser Wechsel der Formen, Anschmiegungsfähig-
keit an den Gedanken, ein Gang vom leichten, fliessenden Erzählen bis
zum wuehtigsten, Schlag auf Schlag fallenden Schmettern, wenn Hebung
an Hebung trifft, wurde dadurch gewonnen. Man vergleiche etwa fol-
gende Verse:
Nun singet mir Bruder Dlankwart, wie säid il'1r so rozch?
Ich wähne, iixr von W1Imden legidet ggosse Nöth.
Ist er {rgends iln dem Linde, der Äs euch halt gethslmn,
Ihn
errett,
Tlzeufel,
der ilibele
es muss ihm an
sein Leben gän
Da. hub sich vor den Thürcn viel starker Gedrang
Und auch von den Schwertern g'rosser Heimklzing,
Dess' kam der kühne Dankwart in eine grosse Noth,
Dass besorgete sein Bruder, wie ihm sein' Treue gebot.