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Die Dichtkunst.
vorwiegende e, namentlich das stummere, macht sie klang- und charac-
terlos; durch 0 wird sie voll, pompös, doch etwas dumpf; durch a klar,
kraftvoll; gewichtiger je nach der Länge und Kürze des a; das i ähnelt
dem Gelb; bald ist es hell, licht; hart oder länger ausgesprochen macht
es den Ton wohl schneidend, ziehend. Der schöne Wechsel der Vocale
wird natürlich auch hier zu einem harmonischen Eindrucke verlangt;
doch hat sich im Allgemeinen der Dichter vor den stummen e's soviel
wie möglich zu hüten. Wie die Vocale wirken, kann jedes schöntöncnde
Gedicht zeigen. S0 z. B. achte man in Götheis Fischer darauf, wie gleich
zu Anfang ein gleichmässiges, schönes Wiegen, an Wellen erinnernd,
darin waltet:
Das Wasser rauscht, das WVasser schwoll
a. a. e au a a e o.
Man achte in Götluäs Mignon auf die dunklen Voeale des Anfangs u, 0.
au, woran dann, wie an die dumpfere Stimmung plötzlich das Llnbefrie-
digte, sehnsüchtig ziehende, wehe i setzt:
"Kennst Du es wohl?
Dahin! Dahin
Mücht ich mit Dir, 0 mein Geliebter
ziehn.
Schon dieser Vocal zieht hier hinaus, wie er so lang dahindehnt. Dass
man durch die blossen Vocale den Vers aufsteigen oder absinken lassen
kann, ist danach zu sehn. Mit den Consonanten ist es nicht anders.
Schon ihr Ton giebt leicht eine Stimmung i
Jedem Worte klingt
Der Ursprung nach, wo es sich herbedingt;
Grau, grämlich, griesgram, gräulich, Gräber, grimmig,
Etymologisch gleicherweise stimmig,
Vcrstimmen uns.
(Göthe, Faust.
fl ist z. B. ein Hauehen, Wehen, eine nicht harte Bewegung. Man ver-
gleiche "üiessen" mit anderen Bewegungen des Wassers. Fliessen ist
ein stärkeres Dahingleiten; die Oberdäche des Wassers, ist dabei noch
unbewegt. Aber r giebt eine stärkere Bewegung, wie dieses schon in der
Bildung des Buchstabens sich zeigt in seinem r-r-r. Setze ich nun noch
scharfe Oonsonantcn vor das r, z. B. st und sp, so bekomme ich stets
gewaltsame, heftige Bewegungen; wie schon beim Aussprechen dieser
spr und str geschieht, wird auch in den damit gebildeten Wörtern eine
Schwierigkeit gewaltsam überwunden. Man vergleiche lliessen mit dem
kurz bewegten: rinnen, das sich durch das s verschärft und unruhiger,
stossender wird in: rieseln. Strömen ist durch str heftig, mächtig; ge-
waltsam ebenso in strudeln, sprudeln. Aehnlieh, wenn auch weniger
deutlich, mit den andern Consonanten. S0 soll z. B. t (d, th, s) im All-