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Schöne.
Das
zurückführen können, um befriedigt zu sein. Was überhaupt vom
Menschen gilt, gilt auch von seinem ästhetischen Vermögen. Und
somit ist Einheit in der Vielheit oder Mannigfaltigkeit eins der
Grundgesetze für unser ästhetisches Empfindungsleben. Das Schöne
muss eine Einheit in der Vielheit zeigen, die mit unserem Vernunft-
gesetze harmonirt.
Die Vielheit entsteht durch eine Theilung der Einheit, wie die
Einheit durch Zusammenfügung der Vielheit. Eine blosse Vielheit,
sagten wir schon, ist unserem Begreifen, unserer Vernunft wider-
spreehend. Wenn die Einheit als Einförmigkeit todt, langwiveilig, über-
haupt unästhetiseh erscheint, so wirkt die blosse Vielheit chaotisch
und damit unserem Vernunftgefühl ebenso Widersprechend und kann
daher niemals den Eindruck des Schönen machen. Das Zusammen-
gruppiren der Theile zur Einheit nennen wir Gliederung. Soll diese
uns schön erscheinen, so muss sie in der Art unserem sinnlichen und
geistigen Vermögen entsprechen, dass sie "demselben sich durch ihre
Uebersichtlichkeit anpasst. Wenn eine gewisse Grösse oder Kleinheit
nicht überschritten werden darf, um für unsere Sinne wahrnehmbar zu
sein, so darf die Gliederung auch eine gewisse Gränze nicht über-
schreiten, um wohlgefällig zu bleiben. Bei grossen Gliederungen, die
uns zusammen den Charaeter der Einheit machen sollen, wird beispiels-
weise jedes Hinausgehen über die Zehnheit ästhetisch nicht leicht be-
friedigend wirken. Bis zum Fünffachen überfassen wir leicht mit
einem Blick. Gegen die Zehnheit aber oder darüber tritt die Noth-
wendigkeit des Zählens bei den meisten Menschen ein, wodurch der
ästhetische Eindruck gestört wird. Es versteht sich, dass jeder Theil
einer Gliederung wieder als Einheit aufgefasst werden kann. Er theilt
sich alsdann wieder und so fort. Der kleineren Gliederungen können
schliesslieh ilnzäihlige sein, wo sie nur den untergeordneten Eindruck
blosserVielheit, der Fülle z. B. als Schmuck, Ornament u. s. w. machen.
Eine Einheit darf aber nie derartig durch eine Gliederung getheilt
sein, dass sie auseinander zu fallen scheint. Es wäre das schon ein
Widerspruch in sich. Uebertriebenc Gliederung, wie z. B. bei vielen
Inseeten, stört; sie zerreisst das Bild, somit auch unser ästhetisches
Wohlgefallen.
Eine wahre Einheit können wir nur erlangen, wenn das Ding in
allen seinen Theilen vor uns liegt. Einheit verlangt Ganzheit. Dazu
gehört also, dass Nichts fehlt: Lückenlosigkeit, Vollständigkeit, wo-
düfßll auch schon bestimmt ist, dass jedes Ding seinen Anfang und
sein Ende hat, in sich abgeschlossen sein muss, um ein reines, von
Alfdßfßm unabhängiges Wohlgefallen zu erregen. Eine solche Ganz-
llölt ISt bedingt durch Freiheit. Jede Störung der Vollständigkeit,
Abgeschlossenheit, durch Verkümmerung, Fehlen sowohl, wie durch
Hlnllltvßten eines Ungehörigen, ist missfällig. Reinheit der Erscheinung