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Dichtkunst.
Die
dieses mit dem eigentlichen Sprechen als begritfliehem Ausdruck nichts zu
thun. Das Tönende tritgt den Begriff nur. Man kann die Töne nicht
schildern, sondern sie nur mathematisch zu einander bestimmen. Die
Tonwelt ist durch die Sprache nicht zu ersetzen; diese nicht durch
jene.
Während in der bildenden Kunst nur äussere Formen, in der Ton-
kunst nur innere Bewegungen zum Ausdruck kommen, dort also tinmit-
telbar nur Anschauung, hier Empfindung herrscht, umfasst der Gedanke
Aeusseres und Inneres, das ganze Ding, und zwar sucht er das Wesen,
nicht bloss die Materie in ihrer ausseren Form, nicht bloss Aeusserungen,
die auf innere Zustände sehliessen lassen, sondern das ganze Wesen
nach allen seinen Erscheinungen und nach seinen Wirkungen. Dies
ist in keinem Punkte, in keinem Augenblicke ganz zu ergreifen. Im
Leben selbst, im „ Fluss der Dinge" kann es nur erfasst werden. Zu
den Anschauungen der Formen, zu den Empfindungen tritt die Erken-
nung des Wesens, des Zusammenhangs im Geschehenden. Die Wirkung
von Einem auf's Andere, die fortschreitende Thatigkeit, dann zuhöchst
das thätige Seelenleben und seine Aeusserungen im Handeln; Gedanken,
Character, Handlung werden Hauptgegenstand. Das lebendige Ge-
schehen, sagen wir es schon hier, wird immer den Kern der Dichtung
ausmachen müssen. Das verweilende Schildern, das schilderndc Ver-
weilen sind nicht ihre Sache. Tlhatig, fortentwiekelnd wie die Gedanken
sein müssen, muss auch die Dichtung sein. Deshalbbelebt sie so gern
das Unlebendige; desshalb wählt sie so gernLebendig-Thatiges zur
Veranschaulichung. (Aristoteles sagt Rhetorik III, 11 : „Ich meine, es
veranschauliche alles das, was ein Lebendig-Thätiges bezeichnet. Wenn
ich z. B. einen tüchtigen Mann einen gewürfelten nenne, so ist dieses
ein bildlicher Ausdruck, aber er drückt keine Lebensäusserilng aus.
Aber der Ausdruck: „ "eines Mannes, dessen Kraft in der Blüthe stehtM
enthält eine Lebensäusserung." Er weis't sodann auf Homer und dessen
gleich näher zu bespreehendes Lebendigmachen.)
Es werden in der Dichtkunst durch die Sprache Vorstellungen
übertragen. Betrachten wir diesen Vorgang näher Anschauungen
und Empfindungen, Begriffe, Sprache vorausgesetzt. Im Geiste sind
Vorstellungen gebildet und demselben gegenwärtig, sei es nach dessen
eigner Wahl und Laune oder durch eine Anregung von Aussen. So
wird eine Vorstellung erweckt durch das Wort, welches dafür als sinn-
liches Zeichen in der Sprache gilt. Soll sie recht lebendig erregt wer-
den, so muss sie kräftig im Vorstellungsvermögen ruhen, und muss das
richtige Wort dafür in einer Weise gebraucht sein, dass es jenes in
'l'häitigkeit versetzt. Ein ilnbestimmtes Wort kann nur eine unbestimmte
Vorstellung erwecken; eine undeutliehe, trübe, leblose Vorstellung kann
durch kein noch so bestimmtes Wort klar gemacht und belebt werden.
Es ist also einerseits Kraft, Bestimmtheit und Vorrath der Vorstellungen