Volltext: Populäre Aesthetik

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Dichtkunst. 
Die 
die Kunst Stilvermischung nicht das Höchste, im Gegentheil ein Unter- 
geordnetes ist und nur in der Stilrcinheit das Höchste errungen wird. 
Alle Mischformen stehen tiefer als die reinen Formen: lehrende und über- 
redende (direct zu bestimmter Handlung auffordernde, aufreizende, haran- 
guirende, predigende, fordernde u. s. w.) Poesie sind keine Höhepunkte, 
sondern nur Unter- und Abarten. 
Im gewöhnlichen Leben wird ein nach allen drei Richtungen har- 
monisches Geistesleben auch gleichmässigen, in sich nicht durch krassen 
Uebergang von Einem zum Andern störenden Ausdruck erzeugen und 
der Wechsel der Vorstellungen, Begriffe und Anregungen nach Phan- 
tasie und Verstand und Willen wird gefallen. Einseitigkeit wird ver- 
missen lassen und missfallen. Sobald aber die höhere Kunstordnung 
eintritt, darf das bunte Durcheinander nicht mehr stattfinden und eine 
schärfere Sonderung, neueAnforderungen der Stileinheit und Stilreinheit 
treten ein. 
Wo z. B. das Wahre allein Ziel wird, hat das Schöne an sich keine 
Bedeutung und tritt zurück, ja ist zu verbannen, wenn es durch die 
Schönheit vom Erfassen des Wahren ablenken könnte; wo das Schöne 
allein Ziel wird, ebenso mit dem Wahren und Ethischen; alle Kräfte sind 
dann nur auf das Schöne zu concentriren, damit dieses in lnöglichster 
Vollendung erfasst wird. 
Dass immer die höhere Harmonie zu Grunde liegen soll, versteht 
sich, und ist im allgemeinen Theile gesagt. Das Schöne wird unab- 
hängig vom Wahren und Guten gebraucht; aber das Schöne kann nie 
unwahr und böse, das Wahre nie hässlich und böse, das Gute nie häss- 
lich und unwahr sein, und dann noch allgemein gefallen. Der poetischen 
Wahrheit und Gerechtigkeit, welche dadurch vernothwendigt ist, werden 
wir noch naher zu gedenken haben.  
Da das Schöne das Wahre und Gute nicht als solches zeigen kann, 
ohne aus dem Schönen herauszufallen und da es Alles in die Anschauung 
hinüberzuführen, der Phantasie zugänglich zu machen hat, so ergiebt 
sich die Nothwendigkeit für die Dichtung, alle nackten Verstandes- 
begritfe und alle ethischen Bestimmungen umzuarbeiten, den nackten 
Ausdruck gleichsam zu bekleiden, das Abstracte zu beleben, bildlich 
ausznschmücken, anstatt der Sentenz ein Beispiel zu geben oder uns 
eine Handlung zu zeigen, damit wir selber die Lehre daraus zie- 
hen u. s. w. Wie oft diese N othwendigkeit nicht begriffen, die Aufgabe 
der Dichtung falsch verstanden und in der directen Wirkungsfähigkeit 
auf den Verstand und den Willen für die Poesie ein Vorzug vor den 
anderen Künsten gesehen wird, werden wir noch mehrfach im Einzelnen 
zu erwähnen haben. 
Das durch die Sprache übertragene Phantasiebild kann an An- 
schaulichkeit der äusseren Formen nicht mit der sinnlichen Anschau- 
lichkeit des Wirklichen wetteifern. Es ist unmöglich, durch die Sprache
	        
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