Die
Dichtkunst.
Allgemeines.
Das Gebiet der Dichtkunst liegt im Reiche der Gedanken. Deren
Ausdruck ist die Sprache.
Die äusseren wie inneren Wahrnehmungen kommen dem Menschen
zum Bewusstsein: seine geistige Kraft befähigt ihn, den Bezug der Er-
scheinungen zu einander zu verstehen, die Wahrnehmungen, Anschauun-
gen und Empfindungen in Zusammenhang zu setzen, Ursache und Wir-
kung zu erkennen, die Erscheinungen begrifflich zu einen und zu
trennen, Ansichten und Absichten zu fassen und denen gemäss zu han-
deln. Mit Verstand begreift der Mensch sich und die Aussendinge;
vernünftig, nicht bloss instinetiv, vermag er zu handeln. Diese ganze
Thätigkcit des Geistes findet in der Sprache ihren Ausdruck. Das vor
dem Geist gleich Erscheinende bekommt gleich lautenden, das verschie-
den Erscheinende verschieden lautenden Ausdruck.
Das Organ für die Sprache ist der Laut und Ton bildende Mund;
die bestimmten, in Silben undWort vereinigten Laute und Töne wer-
den mit dem Ohr erfasst. In sichtbare Zeichen umgesetzt erscheint die
Sprache als Schrift.
Soweit die Sprache durch solche Laute und Töne zum Ausdruck
kommt, gehört sie dem Tonreieh an und fällt in mancher Beziehung
unter deren Gesetze. Wir werden den betreffenden Einfluss auf eine
Kunst der Sprache zu betrachten haben. Doch sei schon hier darauf
hingewiesen, dass es in der Sprache nicht der Ton an sich ist, der zur
einzigen Geltung kommt, wie in der Tonkunst, sondern dass der Begriff,
das Wort die Hauptsache ist. Werden keine Begriffe ausgedrückt, so
fallen die Lautthätigkeiten des Mundes, als Tönen, Lallen, Stammeln,
Schreien u. s. w. in das Bereich des Tönenden, nicht des Gedanken-
ausdrucks, um welchen es sich hier handelt; nach dem Ton, 0b laut,
leise, tief, hell, schnell, wohltöuend, rhythmisch u. s. w. mögen sie betrach-