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Die Tonkunst.
selbst zum Tanze haben wir den Tönen nicht folgen können, weder dem
schnurrenden Brummbass und Horn und Clarinette, noch der Zigeuner-
üedel in ihren tollen Sprüngen und wilden Seufzern. Aus den Hallen
der Kirche mit den Orgelklängen eines Bach, aus dem Saal, d'rin eine
Beethoven'sche Symphonie schwillt, aus dem Theater, d'r-in Don Juan
uns erschüttert, d'rin Cherubim seufzt, d'rin die Zauberflöte bezaubert,
aus der Messe, d'rin die Gräber und die Himmel sich öffnen und Hölle
schauert und Himmel singen, sind wir geblieben. Nicht in das blühende
persönliche Leben durften wir greifen; in dem Allgemeinen mussten
wir uns hier beschränken.
Nur noch wenige Worte zum Schluss.
Man hat zu manchen Zeiten die Musik hinsichtlich ihres bildenden
Elements besser zu schätzen gewusst, als jetzt. Die Alten sowohl, wie
das Mittelalter, wie selbst die neueren Zeiten bis in unser Jahrhundert
hinein, haben dies in vielen Beziehungen gezeigt. Sehen wir heute auf
die volksbildende Macht der Musik, so ist die sehr gering. Viel Ge-
klapper vor den Ohren, Wenig Musik in den Köpfen und Herzen. In
den Volksschulen, namentlich auf dem Lande, sollte die Musik besser
gepflegt werden, Auch die einfachsten Instrumente sollten da für die
Bcgabteren gelehrt werden. Ein wie tiefes Musikbedürfniss im Volke
steckt, zeigt seine Bewunderung der Drehorgel, seine Neigung, die Zieh-
harmonika zu spielen u. s. w. Wie gern es singt, ist bekannt. Man
unterstütze diese Neigung; aber man menge sich nicht überweise hinein
und wolle es gleich nach allerhöchsten Principien maassregeln. Musik-
freudige Zeiten in einigen katholischen Ländern könnten da vielleicht
Anhaltspunkte geben. Ohne die Musikfreude in der Kirche würden
wir uns nicht an Jodeln und Cither in unseren Alpen erfreuen. Na-
mentlich in unserem nördlichen Vaterlande ist die musikalische Noth
des Volkes gross, sowohl was Lieder, als was die eigentliche Musik be-
trifft. Den Gutsbesitzer soll man z. B. preisen, der Schalmeien für
seine Hirten schafft. Schlägt ein solches Bemühen auch unter zehn
Mal neun Mal fehl, so wiegt der Eine schon Neun auf; Neun lernen es
schon wieder von ihm. Es ist ein wahrer Jammer; das Volk Mädel
und Burschen ist oft halb rasend vor Musikleidenschaft; die Musik
wirkt bei ihm, auch in den niedrigsten Formen Wunder, wie man bei
jedem Tanz sehen kann, wo steife, ungelenke Bursche innerlich Feuer
und Flammen, ausserlich Quecksilber durch die Musik werden , wo beim
ersten Trompetenton oder Geigenstrich die Blicke der Mädchen er-
glanzcn und die Füsse zittern, aber es wird nichts weiter gethan, als
ihnen hin und wieder die Erlaubniss gegeben, wohl bedachte, Wohl zu-
gemessene Erlaubniss, sich Musik von einigen Bierfiedlern zu bestellen
und sich dann halb todt zu rasen. Ein solcher Kunstschacht könnte
ganz sicherlich besser ausgebeutet werden. Wie das Material behau-
delt und gewonnen, wie es geschmolzen und geformt werden muss, das