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Tonkunst.
Die
Es ist nicht zu leugnen, dass wir in dieser Weise mit unsern Opern
in ein Extrem gerathen sind, dem dringende Abhülfe Noth thut. Ein
guter Text der angegebenen Art ist sehr schwierig; ein schlechter ist
leicht und darum der gewöhnlichere. Unzusammenhängend ein Musik-
stück neben einem anderen; zwecks des Zusammenhangs oft der pure
Unsinn im Text; der Unsinn überdeckt von der Musik, dann auch
unhörbar durch schlechten Gesang, bei dem man nicht versteht, was
der Sänger singt. Durch den Zug der Tonkunst zum Allgemeinen, den
wir behandelt haben, wird der Text nun noch leicht in's Verblasene,
Gharacterlose gerückt, indem der Musiker auf den Dichter wirkt. Jeder
sieht leicht, wohin das führt. Wahres dramatisches Element kann in
solchem zerhackten, flachen, unsinnigen Werke nicht aufkommen; Ueber-
treibung, Geschraubtheit, gemachte lünergie wird also die innere Kraft
der Leidenschaft, die wahre Energie im Stück ersetzen sollen. Diese
Uebertriebenheit ist aber unschön, hat keinen Stil mehr, ist manierirt.
Die Kunst ist darin verloren.
Das ist das Extrem, wohin ein an sich richtiges Bedürfniss die
Oper führt und geführt hat. Geholfen wird, oder das Gleichgewicht
wird hergestellt durch den Gegensatz: feste, geschlossene Verbindung
im Stücke, echte dramatische Sprache, gewaltige Leidenschaft. Statt
des Rein-Musikalischen, Liedartigen, soll dramatische Leidenschaft im
Gesange herrschen. Nach unserer obigen Auseinandersetzung, nach
dem Beispiel aus dem Aeschylus und der Maria Stuart, brauchen wir
dieselbe nicht näher zu erklären. Wie ein solches Extrem das vollste
Gegenextrem wohl verlangt, so müsste man statt der Liederoper ein
Rededrama mit dramatischem Gesang püegen. Ein eigener Stil für
Spiel, Sprache, Gesang müsste freilich erst dazu gebildet werden. Was
den Tonkünstler betrifft, so kann er an den Männern lernen, welche für
eine Zeit ihre Tonwerke dichteten, in welcher das jetzt herrschende Uebel
noch nicht herrschte, oder welche sich mit Erfolg dagegen stemmten.
Ich meine, man könne aus dem Gesagten leicht ersehen, wie natur-
gemäss unsere jetzigen Bewegungen in der Oper sind. Richard
Wagners Kampf, andererseits das begeisterte Zurückgreifen auf unsern
hehren Händel und seine titanische, dramatische Kraft sind, um es
kurz zu sagen, naturgemass. Die Oper lebt noch; die Sprossen an den
jüngsten schönen Aesten taugten nicht viel; sie Waren zu wild in's Kraut
gewachsen, waren nicht genug beschnitten worden; diese Stämme müssen
jetzt ausruhen; dafür schlagen andere wieder aus.
Es kann sich hier nicht darum handeln, eine Kritik der Bestre-
bungen der Gegenwart zu geben. Iloifentlich wird der Leser einen
ruhigen Einblick in derartige Eutwickelungen durch die einfachen Aus-
einandersetzungen gewonnen haben. Ruhig prüfend wird Derjenige,
welcher dem Parteikampf ferne steht, das Richtige in den Principien er-
kennen, die Uebertreibung, zu welcher der Streit verführt, das Unzu-