Volltext: Populäre Aesthetik

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Tonkunst. 
Die 
unternimmt, wird die Kunst durch seine gewaltigen Anstrengungen stets 
etwas gewinnen. Er erweitert ihre Grenzen in der einen oder andern 
Beziehung. Aber sie wird auch stets Schaden und mehr Schaden_ als 
Nutzen davon haben, wenn ein grosser Meister zu viele und seine Schüler, 
Nachfolger und Nachtreter wohl, wie es zu geschehen pflegt, alle An- 
strengungen darauf verwenden, mit der andersartigen Kunst zu rivali- 
siren. Was beim Meister oft ein Zeichen überströmender Kraft und 
Fülle ist, das ist bei vielen Nachbetern ein Zeichen dcrOede; sie suchen 
etwas ausser sich, weil es im Innern leer ist. So wird weder das Glück 
noch die Höhe der Kunst gewonnen. Als einen solchen bahnbrechenden 
Meister will ich nur Beethoven nennen. Ein mächtig wachsender Baum 
ist etwas Herrliches und unsere Freude. Wenn aber nur Ring an Ring 
um den Stamm anschiesst und über dies äussere, hölzerne Wachsthum 
das Mark des Baumes vertrocknet, dann wahrt die Freude nicht lange. 
Aussen scheinbafgewaltig, innen bald hohl steht er da; es vertrocknen 
Blätter und Zweige; dürre Aeste klappern umher; das todte Holz fallt 
auseinander. Die Empfindung ist das Reich der Tonkunst. Wo diese 
darüber hinaus in die Bestimmtheit der Sprache, sei es der Schilderung 
durch dieselbe oder der Gedankenhaftigkeit u. s. w., übergehen will, da 
verliert sie den Grund unter den Füssen; sie outrirt; sie wird unsinnig 
oder hölzern. 
Eine blosse Nachahmung des Natürlichen durch die Töne ist ein 
Kunststück, kein Kunstwerk. Dies gilt z. B. für alle täuschend ähn- 
lichen Nachahmungen von Stimmen  Menschen- und Thierstimmen 
 welche mit einem Instrument hervorgebracht werden. Dass der 
Widerspruch, welcher in einer solchen Nachahmung liegt, leicht komisch 
behandeltwerden kann, braucht kaum bemerkt zu werden. So finden 
wir denn auch Nachahmungen bei naiven, heiteren Stimmungen harmlos 
vom Tonkünstler gebraucht; wer dieselben mit Rigorosität verdammen 
wollte, zeigte, dass er keinen Scherz verstände, keinen Humor besasse. 
Kuknk mag rufen, so gut er's kann, Lerche singen, Clarinette mag 
blarren wie ein Kalb, wo es hineinpasst. Etwas Rein-Schönes kann 
dadurch freilich nie entstehen; nur im Heiteren, Niedlichen, Reizenden, 
Komischen isfdergleiehen angebracht. 
Im Gegensatze hierzu steht die formelle Behandlung der Musik. 
Hinsichtlich ihres Formwesens herrscht in ihr die strengste Regel- 
massigkeit; das ganze System der Tonlehre ist auf's genauste, ist mit 
mathematischer Genauigkeit geordnet, theils unbewusst nach (lem Ge- 
fühl, theils mit Absichtlichkeit im Laufe der Zeiten. Mit diesen, einst 
geistig herausgefühlten und festgestellten Gesetzmassigkeiten lässt sich 
nun vortrefflich operircn. So z. B., wenn irgend eine Harmonie an- 
geschlagen und diese durch die verschiedenen Tonarten geführt wird. 
Auch hier kann ein, wenn auch unbelebteres Schöne herauskommen, 
wie formell auch der Tonkundige in dieser Art Zll Werke gehen mag.
	        
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