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Die Tonkunst.
Gesanges, welcher sich harmonisch zusammenfasst zur schönen Tonein-
heit, die reichste Schönheit entfaltet, wie die Verstärkung jeder Stimme,
dann Instrumentalbegleitung hinzutreten und so das grossartigste, mäch-
tigste Tonwerk entstehen kann, das in jedem Pulsschlage uns Tonweiten
eröffnet, wie vergleichsweise jeder Blick beim Dnrchwandern eines herr-
lichen Domes.
Noch eine Verbindung des Gesanges mit der reinen Tonbewegung
könnten wir anführen. Ans den durch die blossen Töne in schöner
Weise verkündeten allgemeinen Zuständen und Gefühlen, die sehnsüch-
tig, immer sehnsüehtiger nach bestimmterem Ausdruck ringen, wird
gleichsam der Gesang geboren, in den dann alle Ströme zusammen-
flnthen. Ich brauche nicht zu bemerken, dass der Musiker dabei in der
Wahl seines Textes sehr vorsichtig sein muss. Aphrodite soll aus dem
Meer geboren werden, aber es (lürten nicht Berge kreisen, um eine Maus
zu gebären. Ein "Freude, schöner Götterfunken" gehört schon dazu,
eine in ihrer Allgemeinheit der Musik näherstehende Poesie, deren all-
gemeine Gedanken aber von der höchsten Kraft und Tiefe sein müssen.
Uebrigens brauchte man diese Art kaum als eine eigene aufzustellen,
indem sich die Musik auch dabei zu einer Ausführung und Verklärung
der Poesie gestaltet. Die Ergänzung der Musik durch den Gesang und
des Gesanges durch die Musik trifft doch gewissermaassen zusammen.
Die einzelnen Formen des Gesanges, wie das die Rede musikalisch
steigernde Reeitativ, das einfache, in der Allgemeinheit der Empfindung
sich bewegende Lied, die mehr persönlich bewegte, auch kunstvoller
zusammengesetzte Arie, die Motette u. s. w. können wir hier nicht aus-
führen.
In der Instrumentalmusik werden durch Instrumente erzeugte Töne
gebraucht. (Es ward schon gesagt, wie auch die menschliche Stimme
nur als Instrument auftritt, sobald sie nicht sprachlich gestaltet, z. B.
beim Jodeln, 'I'rällern, Pfeifen u. s. w., auch dort, wo beim Singen die
gesungenen Worte nicht verstanden werden, sei es aus Unkenntniss der
Sprache oder durch Undeutlichkeit, etwa bei einem sehr starken Chor-
gesang ist der Gesang von rein instrumentaler Wirkung.) Wir können
hierbei am deutlichsten den musikalischen und sprachlichen Unterschied
ersehen. Mit allem Ausdruck, den eine Reihe von Instrumenten für den
musikalischen Ausdruck von Zuständen bietet, kann niemals die Sprache
nachgemacht, höchstens nur nachgeädt werden. Es kann also nie die
Musik die Sprache und ihre Bestimmtheit ersetzen, sowenig die Sprache
die Musik in ihrer Eigenthümlichkeit zu ersetzen vermag. Der Künstler
hat in den Tönen ein Material, das er der musikalischen Idee und den
musikalischen Gesetzen gemäss gestaltet. Ganz hierbei abgesehen, ob
er von bestimmten Gedanken oder Empfindungen beim Schaffen des
Tonwerks beseelt ist oder beseelt sein muss, oder nicht; sein Gedanke,
seine Empfindung kann sich in Tönen nur in der dem Tonleben charak-