Vocahnusik.
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tragende, allgemeine Stimmung sind gegeben. Oder die Stimme schwillt
zum Gesang an: dieselbe Begleitung bleibt. Oder die Musik tritt wett-
eifernd zur Rede. Sie begleitet den Gesang in denselben Tönen. Das
allgemeine Stimmungsgefühl ist dann weggefallen und die Stimme hat
nur eine Verstärkung erhalten, die aber so ergreifend wirken kann, weil
sich gleichsam das Aussermcnsehliche mit ihr verbindet und ihr zu
Hülfe kommt. Oder die Musik tritt frei an den Gesang und führt mit aller
ihr zu Gebote stehenden Kraft die Stimmung aus. Sie benutzt ihre Viel-
Stimnligkeit. Sie giebt theils allgemeine Stimmung, stützt den Gesang;
mit diesen Tönen begleitet sie; jene lasst sie die Nebenstimmungen oder
die sonst dem Gesungenen entsprechenden ausdrücken. Melodie und
Harmonie lässt sie zusammen erklingen. Die Beschränktheit der Rede,
welche je klarer sie ist, desto bestimmter, concentrirter wird, ergänzt sie
(lurch ihre Allgemeinheit. Der Sänger, welcher z. B. singt: „ Ach mein
lIerz ist tief bewegt" drückt, wie Manches er auch hereinklingen lassen
kann bei hoher Kunst, trotz der Allgemeinheit dieser Worte doch haupt-
sächlich nur ein Gefühl aus, oder wenige z. B. ein weieh-schmerzliehes.
Die Musik aber in ihrer Macht im Nebeneinander lässt etwa. Kraft,
Weichheit; Freude, Innigkeit, Bedrückung, Unruhe, was nur Alles bei
einem Gefühl jener Art mit und (lurcheinander wirksam werden und
was sie durch Folge der Bewegung, Harmonie u. s. w. ausdrücken kann,
hinzutönen und giebt uns somit gleichsam das All dieser Empfindung.
Um den Kern des Gesanges sind alle Empfindungen tönend, krystalli-
nisch zusammengeschosscn.
Wo der Sänger sich mühselig durch einen oft wiederholten Gesang
derselben Worte helfen muss, indem er bei jedem Nacheinander eine
neue Empfindung verwalten lässt und so den Umfang seines Gefühls,
das er bei jenen Worten empfindet, zur Anschauung bringt, da kennt die
Musik keine Schwierigkeit. In Harmonien bewältigt sie die ganze Tiefe
des Gemüths. Schlag auf Schlag kann sie uns den weitesten Ueberblick
geben. Natürlich braucht sie hierzu nicht Instrumente allein zu nehmen.
Sie ltaun auch eine Mehrheit von Stimmen benutzen. Zu dem Gesang
des Einzelnen tritt ein zweiter durchaus gleicher hinzu. Diese Gleichheit
wird verstärken, nur in der Macht und Fülle verändern. Wenn zwei
oder hundert oder tausend Menschen in gleicher Stimmlage und auf den-
selben Tönen Gesang anstimmen, so haben wir eine solche Verstärkung.
Die erste innere Veränderung, die geringste erscheint, wenn zwei Stim-
men in der Octave miteinandergehn. Ein neuer Ausdruck kommt hinzu;
die ästhetische Bedeutung der Höhe und der Tiefe kommt zur Geltung.
Sobald aber mehrere Stimmen nun in freieren Harmonien einander be-
gleiten, tritt die oben angeführte grössere Vertiefung ein. Einheit des
Gefühls umsehliesst Alle, aber innerhalb desselben zeigt sich lllannigfal-
tigkeit. Ich brauche nicht auszuführen, wie in Terzett, Quartett u, S_ w_
die Verschiedenheit der Klaugfarben mit den eigenartigen Gängen des