422
Die Tonkunst.
spenstigkeit, etwas Gequaltes, Weh, Wimmern schallt eher daraus und
nur die höchste Kunst vermag etwa die Violine so zu handhaben, dass
die Töne ganz rein, klar, freudig hervordringen. Statt der metallenen
Klangfülle aber hat das Streichinstrument einschneidende Macht, dann
eine Empfindungskraft, wie kein anderes. Trotz des mehr unmittelbaren
Zusammenwirkens von Künstler und Instrument beim Blasen, kann
weder Metall noch Holz eine so innige, emptindende Sprache 1'eden, wie
das Streichinstrument, wenn in Künstlerhand Bogen und Saiten unsag-
bares Weh, unsagbaren Jubel ausdrücken. Einen grossen Vortheil
bietet das Streiehinstrument durch die Möglichkeit, die Töne beliebig
zu dehnen, zu binden, zu verschmelzen, dann durch die schon ange-
führte Leichtigkeit der Bewegung. Andererseits ist es schwierig: kein
Ton liegt da für den Spieler fertig, bereit. Kein Instrument fast ist so
misstönig, so widerwillig sich sträubend bei schlechter Behandlung.
Voran steht unter den Streichinstrumenten die Geige wohl die
Königin aller Instrumente geilannt. Schwer ist sie zu eharacterisiren.
Es giebt nichts Unausstehlicheres als sie, wenn sie in schlechten Händen
ist; sie ist reibend, kratzend, klanglos, widerspenstig; aber dieses
eigensinnige Ding, welches jeden Ton schnarrt und unrein giebt,
wird in der Hand des Meisters das gehorsamste Werkzeug, welches
sich denken lässt. Weich, süss, rein, luftig wie ein Hauch wird sie
dann und doch immer wieder kann sie mit einer Schärfe. ja gleichsam
mit Wuth sich in die wildesten Leidenschaften stürzen. Sie kommt nach
in Zorn, Verzweiflung, Jammer, Schmerzenssclirei, wie weh und wild
der Künstler empündcn mag. Und sie kann jauchzen, so hell, so klar!
Am schönsten scheint sie wohl in Verbindung mit anderen Tönen, wo
ihre Innigkeit gegen diese so recht zur Geltung kommt, wo sie ihre
herrlichen Eigenschaften leicht und frei über jenen schwebend entfalten
und dabei die Schärfe ihres Klanges durch jene weicher schmelzen
lassen kann. Weicher im Ton, aber kräftiger, weniger zu wilden
leidenschaftlichen Ausbrüchen geeignet ist die Bratsche. Sie kann nicht
so übermächtig in Freude und Verzweiflung stürzen; sie hat etwas
Nachdcnklicheres, wenn solche Gleichnisswvörter erlaubt sind. ltiachtvoll
im Ton ist das Violoncello, doch hat (lasselbe etwas Bedecktes; nach
oben wird es leicht ilitselnd, die hohen Töne sind nicht mehr sein Reich.
Eine tiefe, krztftvolle Innerlichkeit spricht sich in ihm aus. Idrschütternd
wirkt es in leidenschaftlichen Gängen. Wie wenn ein kräftiger Mann in
Qual, die er unterdrücken will, ausbricht Mannesleidenschaft,
Mannestlehen, Mannesverzweiüung spricht im Violoncell. Eben darum
kann es aber auch sehr komisch erscheinen, wenn es seherzt. Gleich-
nisse sind oft recht thöricht. Aber Violine und Violoncello mögen mit
einer leidenschaftlichen Frau und einem kräftigen, doch gefühlvollen
Mann verglichen werdenf Der Oontrabass ist dann die Stütze dieser
Tlonpersoncn, Vater oder Vormund, wenn wir jene zwei im Scherz das