Volltext: Populäre Aesthetik

420 
Tonkunst. 
Die 
Klänge, seelcnvolle Melodie, Harmonie, Ordnung, Schönheit und Kunst 
mit einem Worte fehlen. Leicht mag man in dem Gebrauch des Tönen- 
den in der christlichen Religionsübung dessen tiefe Bedeutung nach- 
spüren. Die eherne Glocke läutet vom Thurm; wandle durch Feld und 
Au und höre ihre Klänge, 0b du nicht die Natur mitfeiern fühlst. Es ist 
der einfache, naturmäehtige Klang der Glocke, der gänzlich frei ist von 
der menschlichen Subjectivität, der am besten zu der weiten Natur in 
ihrer Ursprünglichkeit stimmt. Die Glocke ist das Allgemeinste; Natur- 
stimme, aber durch eine einfache schöne Klangordnung dem mensch- 
lichen Schönheitssinne dienend. Der Dichter möge das Gesagte noch 
näher bringen: 
Das ist der Tag des Herrn! 
Ich bin allein auf weiter Flur, 
Noch eine Morgcnglocke nur; 
Nun Stille nah und fern! 
Anbctcnd knie ich hier. 
O süsses Grau'n! geheimes Wehn! 
Als knieten Viele ungesehn 
Und beteten mit mir. 
Der Himmel, nah und fern, 
Er ist so klar und feierlich, 
S0 ganz, als wollf er öffnen sich. 
Das ist der Tag des Herrn! 
So singt Uhland uns so schön die geheime Macht der Glockenklänge, 
die wir auf weiter Flur hören. 
In der Orgel tönt eine reine Natnrstimme wie in der Glocke, aber 
reich geordnet, künstlich zusammengestellt und weit künstlicher be- 
wegt. Giebt die Glocke schöne Klänge, so eröffnet die Orgel gleichsam 
den schönen Kosmos. Sie passt zum grossartigen Bauwerk des Menschen, 
zur starren, mächtigen Architectur. Schon die Bildnerei ist ihr zu sub- 
jectiv, noch mehr die Malerei, wenn diese Künste nicht etwa durch 
architectonischen Stil ihr anpassender gemacht werden. Die Orgelmusik 
verträgt sich nicht gut mit dem Gott der Bildnerei noch mit Heiligen. 
Was hat sie mit Menschenbildern zu thun, wenn sie als Stimme der Ver- 
ehrung oder auch als Stimme des Göttlichen, für das sie eintritt, er- 
braust? Der mächtige Dom und sie sind sich genug. Die Gottheit und 
göttliche Verehrung in Menschenbildern führen zum Gesang und zu den 
subjectiven Instrumenten, hauptsächlich aber zu jenem; der unsinnliche 
Rationalismus begnügt sich am liebsten mit der Sprache, selten hebt er 
diese durch den Gesang in die sinnlichere Region; Gottesverehrung 
durch die snbjectivere Malerei mit ihrer Willkürlichkeit wird zum Vor- 
wiegen der Instrumentahnusik drängen, welche sich am subjectiv-will- 
kürlichsten bewältigen lässt. Wo die Gottesverehrung nach unseren
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.