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Tonkunst.
Die
Klänge, seelcnvolle Melodie, Harmonie, Ordnung, Schönheit und Kunst
mit einem Worte fehlen. Leicht mag man in dem Gebrauch des Tönen-
den in der christlichen Religionsübung dessen tiefe Bedeutung nach-
spüren. Die eherne Glocke läutet vom Thurm; wandle durch Feld und
Au und höre ihre Klänge, 0b du nicht die Natur mitfeiern fühlst. Es ist
der einfache, naturmäehtige Klang der Glocke, der gänzlich frei ist von
der menschlichen Subjectivität, der am besten zu der weiten Natur in
ihrer Ursprünglichkeit stimmt. Die Glocke ist das Allgemeinste; Natur-
stimme, aber durch eine einfache schöne Klangordnung dem mensch-
lichen Schönheitssinne dienend. Der Dichter möge das Gesagte noch
näher bringen:
Das ist der Tag des Herrn!
Ich bin allein auf weiter Flur,
Noch eine Morgcnglocke nur;
Nun Stille nah und fern!
Anbctcnd knie ich hier.
O süsses Grau'n! geheimes Wehn!
Als knieten Viele ungesehn
Und beteten mit mir.
Der Himmel, nah und fern,
Er ist so klar und feierlich,
S0 ganz, als wollf er öffnen sich.
Das ist der Tag des Herrn!
So singt Uhland uns so schön die geheime Macht der Glockenklänge,
die wir auf weiter Flur hören.
In der Orgel tönt eine reine Natnrstimme wie in der Glocke, aber
reich geordnet, künstlich zusammengestellt und weit künstlicher be-
wegt. Giebt die Glocke schöne Klänge, so eröffnet die Orgel gleichsam
den schönen Kosmos. Sie passt zum grossartigen Bauwerk des Menschen,
zur starren, mächtigen Architectur. Schon die Bildnerei ist ihr zu sub-
jectiv, noch mehr die Malerei, wenn diese Künste nicht etwa durch
architectonischen Stil ihr anpassender gemacht werden. Die Orgelmusik
verträgt sich nicht gut mit dem Gott der Bildnerei noch mit Heiligen.
Was hat sie mit Menschenbildern zu thun, wenn sie als Stimme der Ver-
ehrung oder auch als Stimme des Göttlichen, für das sie eintritt, er-
braust? Der mächtige Dom und sie sind sich genug. Die Gottheit und
göttliche Verehrung in Menschenbildern führen zum Gesang und zu den
subjectiven Instrumenten, hauptsächlich aber zu jenem; der unsinnliche
Rationalismus begnügt sich am liebsten mit der Sprache, selten hebt er
diese durch den Gesang in die sinnlichere Region; Gottesverehrung
durch die snbjectivere Malerei mit ihrer Willkürlichkeit wird zum Vor-
wiegen der Instrumentahnusik drängen, welche sich am subjectiv-will-
kürlichsten bewältigen lässt. Wo die Gottesverehrung nach unseren