nwcrkzeuge.
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In einigen Füllen ist die Klangfähigkeit der Materie in der Weise
benutzt, dass durch Form und Lage eine möglichst ungehinderte Ent-
faltung auch bei blos äusserlichen Naturbewegungen ermöglicht werden.
In der Aeolsharfe ist z. B. der Wind der Musikant, welcher die Saiten
rührt und ihr die natürlichen, dem kunstgewohnten Ohr des Menschen
so übernatürlich scheinenden Klänge entlockt. In der Orgel werden
ebenfalls die Pfeifen nur von der Luft in tönende Bewegung gebracht;
aber mittelbar spielt sie der Mensch. Während daher die Aeolsharfe
nicht in das Bereich der Toilkunst gerechnet werden kann, weil die be-
wusstlose Macht der Natur allein in ihr wirkt, gehört die Orgel zu den
gewaltigsten Instrumenten der Tonkunst. Der Künstler lenkt und ordnet
die dienstbar gemachten Naturkräfte, ohne freilich persönlich auf sie zu
wirken. Ein eigenthümlicher Zauber und eine eigcnthümliche Kraft
liegt darum in dem genannten Instrument. Gewaltig, gross, starr, durch
keine menschliche Zuthat beeinflusst, in den leisen Tönen, wie in d ercn
mitchtigstem Sturm immer selbständig, ist das Tongebiet der Orgel.
Der Spieler öffnet den Luftströmen die Pforten und weist ihnen die
Wege; aber er kann an die Töne selbst nicht rühren, sie nicht durch
seine Kraft verhärten oder durch seine Weichheit schmelzender machen.
Er lässt sie tönen, lässt sie brausen, aber es ist, als 0b er nur die
Naturkraft entfesselt, dass sie ihre gewaltige Tonmacht verkündigc.
Die Stärke der Töne und die grosse Anzahl, die von dem einzelnen
Spieler gleichzeitig erregt werden kann, dann die Vcriinderlichkeit der
Klangfarbe, macht die Orgel zu einem der bedeutendsten Instrumente;
sie ist Massen beherrsehend, Raum füllend, wie sie gewaltig, harmonien-
mächtig erbraust. Wie der Sturm der Luft den Gesang des Menschen
übertönt, so die Macht ihres '1'0nwindes. Auf den Zusammenhang der
Gottes- und Naturverehrung braucht nur hingewiesen zu werden; wie
doch immer der Mensch Gott in der Natur und ihrem mächtigen Walten
erblickt hat, so dient auch heute noch, trotz aller Subjectivität, die
Orgel, der Ausdruck steter, objcctiver, gewaltiger Naturkraft, als das
hanptsäehlichste Tonwerkzeug, welches in der christlichen Gottes-
verehrung gebraucht wird. Bei keinem andern Instrument findet in den
Tönen ein solches Loslösen von der Subjcctivität des Menschen statt.
Der Mensch spricht in der Flöte, dem Horn, der Geige; in der Orgel
rauscht gleichsam eine höhere, in ihrer Kraft die menschliche über-
ragende, sie erdrückende Macht. Die Religion wird wcichlich, subjectiv,
sentimental aufgefasst, wenn für sie vorzugsiveise Blas- und Saite11-
instrumente zur Anwendung kommen. Reiumenschlich aufgefasst be-
nutzt sie die subjectiveren Instrumente, den Gesang, und wo sie
verstandesgemäss ist, die Sprache. Wo ein blosser Naturdienst unter-
geordneter Art herrscht, beschränkt sie sich auf die Naturtönc der ein-
fachsten Art; Schellen, Trommel, 519911159559, Ulrm, Geklapper, Ge-
rassel, Dumpfes und Gellenrles verkünden die niedere Stufe; reine
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