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Das Schöne
nichts auszusetzen sein. Da es uns darauf ankommt, solche Schwierig-
keiten für das allgemeine Verstandniss zu besiegen, so wollen wir eine
eigne Erklärung geben keine neue, denn es giebt keine anerkannte
Definition, die wir nicht schon bei dem ersten grossen Aesthetiker
Plato vorgezeichnet finden.
Vorher aber wollen wir noch bemerken, dass alle Erklärungen,
die selbst wieder schwieriger zu erklären sind als das, was erklärt
werden soll, verwerflich sind. So z. B. kann eine Definition des
Schönen aus einer höchsten absoluten Idee oder aus Gott durchaus
in der Wissenschaft nicht fördern, indem die höchste absolute Idee
wohl geahnt, aber nicht früher wissenschaftlich begriffen werden kann,
als bis man die Ideenwelt erfasst hat, die sie einheitlich begreift,
durchwaltet und ausströmt. Auf das Höhere hinweisen, weiht eine
Sache, erklärt aber nur dann, wenn das Höhere selber vollständig
erklärt ist. In den wissenschaftlichen Theil also soll man sich hüten
Dinge hineinzuziehen, die einer schwierigeren Wissenschaft oder über-
haupt einem ganz andern Gebiete angehören. Dies zur Erklärung des
Umstandes, dass hier weder von Dcismus noch Theismus, noch Pan-
theismus oder Panentheismus die Rede ist.
Das Schöne ist die Form der Erscheinung, die den uns auge-
borenen Gesetzen unseres Empiindungslebens entspricht; es ist also
eine Gesetzmässigkeit, die mit der inneren Gesetzmässigkeit tinsercs
Ich harmonirt. Aber ist nicht jedes Gesetzmassige an sich schön? An
sich, ja; aber der besehränktere Standpunkt des Menschen macht eine
ästhetische Erkenntniss des Gesetzmässigen oder doch ein Gefühl dafür
nothwendig. Liegt nun jene Gesetzmässigkeit unserem Wesen fern,
widerspricht sie ihm wohl gar, so können wir nie zum Eindruck des
Schönen gelangen. Dies ist der Punkt, von dem aus man die Er-
klärung angreifen könnte: das Schöne ist die Idee in der Erscheinung.
Im Grunde lässt sich die Idee durch das Gesetzmassige erklären,
wenn auch eine andere Beleuchtung durch das Wort "gesetzmitssig"
auf- die ganze Sache geworfen wird. Sage ich: jedes Gesetzmassige ist
schön, so komme ich in den Widerspruch, dass vollkommene Gesetz-
massigkcit oder volle Verkörperung einer Idee mir häufig hasslich
erscheint. Als Beispiel denke man an die Schlange oder an den heran-
kriechenden Tausendfnss. Die Schlange soll ein Ideal einer Schlange
sein warum erschaudre ich oder iinde doch keine ästhetische Freude
über ihr Kriechen oder das Krabbeln des vielbeinigcn Wurmes? Weil
Wir die Gesetzmässigkeit der schnellen Bewegung ohne sichtbare
Bewegllngsapparate, wie sie bei der Schlange stattfindet, nicht sinnlich
erfassen können, da sie unseren gewöhnlichen Anschauungen wider-
spricht und weil wir die vielen Füsse des Tausendfusses nicht mehr
in ihrer Fortschrittsordnuiig übersichtlich auseinander-halten können,
somit also den Eindruck eines Gewirres erhalten, das für uns nicht